Sinn 103 St Sa vs. Junghans Pilot Chronoscope

Instrumentenflug

April 2024. Fliegerchronographen erfreuen sich anhaltend hoher Beliebtheit. In dieser "Probezeit" gehen zwei deutsche Modelle an den Start, die klassische Vorbilder neu interpretieren und für unter 3000 Euro zu haben sind.
probezeit sinn junghans
Drei Instrumente für Piloten: der sogenannte Wendeanzeiger sowie die beiden Armband-Chronographen von Junghans und Sinn.

Es muss nicht immer Kaviar sein. Die Erfahreneren unter uns kennen den humorvollen Agentenfilm nach einem Buch des österreichischen Schriftstellers Johannes Mario Simmel, der 1961 in die Kinos kam. Im selben Jahr gründete auch der Pilot und Blindfluglehrer Helmut Sinn seine gleichnamige Uhrenmarke und brachte kurze Zeit später seinen ersten Fliegerchronographen mit der Typbezeichnung 103 auf den Markt. Da trugen die Piloten der neu gegründeten Bundeswehr bereits die ersten Junghans-Fliegerchronographen. Über deren Einführungsjahr streiten sich die Gelehrten. Einige Quellen sprechen von 1957, andere sagen, dass die ersten BW-Chronographen erst 1959 ausgeliefert wurden. Beide Vorbilder unserer aktuellen «Probezeit»-Kandidaten stammen jedenfalls aus derselben Epoche, sind aber im Charakter doch recht unterschiedlich. Das gilt auch für ihre aktuellen Interpretationen.

Gemeinsam ist ihnen ihre enge Bindung an das jeweilige Vorbild und die Bindung der Fangemeinde an diese Modelle. Aus diesem Grund deklinieren beide Hersteller ihre Klassiker konsequent durch. Junghans stellte der Pilot Chronoscope – so der aktuelle Modellname – jüngst Varianten mit DLC-beschichteten Gehäusen und blauem oder sandfarbenem Zifferblatt zur Seite. Deren Erfolg lässt erwarten, dass da noch mehr kommt. Sinn hat die 103 unter anderem – frei wählbar – mit Titangehäuse, Trockenhaltetechnik und Diapal-Hemmung aufgewertet und um eine große Auswahl an Bändern ergänzt. Wir haben uns sowohl bei Junghans als auch bei Sinn für die jeweils bodenständigste – wenn man das bei einer Fliegeruhr sagen kann – Variante entschieden. Was den angenehmen Nebeneffekt hat, dass beide «Probezeit»-Kandidaten für deutlich unter 3000 Euro zu haben sind. Es muss nicht immer Kaviar sein.

ERSTER EINDRUCK

MARTIN HÄUSSERMANN: Ich liebe Fliegeruhren, was mir mitunter schon den freundschaftlichen Spott lieber Kollegen eingetragen hat. Sei’s drum, ich stehe dazu und habe mich sehr gefreut, dass Peter auf meinen Vorschlag eingestiegen ist, diese Paarung ins Rennen zu schicken.

Junghans
Graubeige Leuchtmasse auf Ziffern und Zeigern sorgt bei der Junghans für einen moderaten Vintage-Look.

Die Junghans Pilot Chronoscope wurde in dieser Form im September 2015 vorgestellt und hat ihren Ursprung im bereits erwähnten Bundeswehr-Chronographen mit dem legendären Kaliber J88, einem Handaufzugswerk. Die Neue wird von einem Automatikwerk angetrieben und ist auch deutlich größer. Maß das Original noch 38 mm, beträgt der Durchmesser der Pilot Chronoscope satte 43 mm. Die Proportionen allerdings passen perfekt, die Junghans kommt keineswegs klobig daher – und lässt auch keinen Zweifel daran, dass sie ursprünglich für militärische Zwecke konzipiert war. Die markante Drehlünette mit den zwölf Hohlkehlen ist das Erkennungszeichen des Junghans-Klassikers, der zwar viel vom Original übernimmt, aber keineswegs historisierend auftritt.

Sinn
Zur Verbesserung der Wasserdichtheit werden bei der Sinn Krone und Drücker verschraubt.

Die Sinn erscheint im Vergleich deutlich kantiger. Das Gehäuse, dessen Mittelteil auf Hochglanz poliert ist, lässt sie ziviler wirken als die Junghans. Dazu trägt auch das Textil-Leder-Band bei, dessen Oberfläche aus Canvas-Stoff lässigen Jeans-Look verbreitet. Den Instrumentencharakter hat sie sich dennoch bewahrt. Die Sinn-Nomenklatur verrät, dass die von uns getestete Ausführung 103 St Sa nicht nur über ein Gehäuse aus Edelstahl (St) verfügt, sondern auch ein leicht bombiertes Saphirglas (Sa) trägt. Das hat dieselbe Form wie das serienmäßige Plexiglas, kostet aber satte 500 Euro extra. Nochmals 100 Euro muss man für das Saphirglasfenster im Boden berappen – eine Ausgabe, die sich meiner Meinung nach angesichts des fein verarbeiteten Uhrwerks aber lohnt. Ein bisschen Kaviar darf es dann doch sein. Dasselbe Gehäuse wird auch für die mit dem Inertgas Argon befüllte Version benutzt, die am linken unteren Bandanstoß eine eingeschraubte Trockenkapsel mit Kupfersulfat trägt. Diese Öffnung ist bei der normalen 103 St Sa mit einer Schraube verschlossen. Dabei sind aber – wohl aus Gründen der Fertigungsökonomie – dieselben EDR-Dichtungen verbaut wie in den gasbefüllten Varianten.

PETER BRAUN: Der klassische Fliegerchronograph, wie er im Sinn-Katalogbuch genannt wird, besitzt eine für dieses Uhrengenre recht unübliche, gleichwohl sehr praktische Drehlünette. Sie ist im Gegensatz zu einem Taucherdrehring nicht mit einer aufsteigenden, sondern einer im Uhrzeigersinn absteigenden 60er-Skalierung bedruckt und ermöglicht damit Countdown-Zählungen auf einen Blick. Aus diesem Grund ist sie auch nicht mit einer Verdrehsperre gegen den Uhrzeigersinn ausgestattet, sondern lässt sich in beide Richtungen bewegen. Der Rastmechanismus funktioniert mit exakter Positionierung und satt schmatzendem Lauf genau so, wie man es sich wünscht. Seitlich am Lünettenumfang sind winzige Schlitzschraubenköpfe zu erkennen, die den Ring verliersicher auf seiner Umlaufbahn halten.

sinn

Die Bedienelemente Krone und Drücker sind bei der bis 20 bar wasserdichten Uhr auf klassische Art verschraubt. Die Überwurfmuttern an den Drückern muss man daher erst aufschrauben, bevor sie sich bewegen lassen. Bei der Krone versteht sich so etwas natürlich von selbst.

Ich stimme mit Martin überein: Die Drehlünette der Junghans muss genau so aussehen, wie sie aussieht. Das zwölfeckige Design mit den organisch herausgearbeiteten Griffmulden für die Fingerkuppen hat bis heute nichts von seiner Attraktivität eingebüßt. Der Verzicht auf eine Rastung oder gar eine Sperrung in eine Drehrichtung erleichtert die Benutzung ungemein, lädt aber auch zum Spielen ein (was ja kein Makel sein muss).

Über die Lünette gemessen hat die Junghans Pilot Chronoscope zwei Millimeter mehr Durchmesser als der Fliegerchronograph von Sinn, und durch den schmalen Drehring bzw. die große Schau des Zifferblatts wirkt der Zeitmesser noch einmal größer. Allerdings baut er mit 14,65 mm deutlich flacher als sein «Probezeit»-Pendant und kaschiert diese Höhe auch noch mit seinem ausgeprägt linsenförmigen Gehäusequerschnitt. Das sanft bombierte und beidseitig entspiegelte Saphir-Deckglas schließt an seinem Umfang bündig mit der Drehlünette ab und ist ein wahrer Handschmeichler. Die griffige Krone und die ovalen Drücker der Pilot Chronoscope sind nicht verschraubt, die Wasserdichtheit ist gleichwohl mit 10 bar angegeben. Das spricht für die Alltagstauglichkeit des Schramberger Klassikers.

Junghans

TRAGEGEFÜHL, BEDIENUNG, ABLESBARKEIT

PB: Diese setzt sich auch fort, wenn man die Uhr anlegt. Weit heruntergezogene Bandanstöße sorgen für einen angenehmen Tragekomfort auch am schmalen Handgelenk, wozu auch das weiche Lederband sein Scherflein beiträgt. Das dünne Deckleder reibt sich jedoch an der kantigen Dornschließe der Pilot Chronoscope auf und wirkt schon nach ein paar Tagen ziemlich «gebraucht».

Das Zifferblatt unseres Testexemplars ist mit Stundenziffern aus bronzefarben-bräunlichem Nachleuchtmittel bedruckt; auch das Hauptzeigerpaar sowie die Spitze des dünnen Chrono-Sekundenzeigers sind damit beschichtet. Die Nachleuchtkraft der Zeiger ist erstaunlich und hält bis in den frühen Morgen, die Stundenziffern verschwinden schon wenige Stunden nach Einbruch der Dunkelheit. Eine Datumsanzeige hat die Pilot Chronoscope nicht, und auch wenn ich sie bisweilen vermisste, muss ich letztlich doch zugestehen, dass ein Datumsfenster die ausgewogene und (durch den zusätzlichen Verzicht auf einen Stundenzähler) symmetrische Optik des Zifferblatts wahrscheinlich beeinträchtigen würde.

Der Tragekomfort der Sinn mit dem mehrlagigen Band ist tadellos. Dabei ist zu bemerken, dass die Uhr doch recht hoch baut: Knapp 17 mm sind schon eine Hausnummer, auch für Chronographen. 41 mm Durchmesser (an der Lünette gemessen) sind eine angenehme Größe, auch für mein eher zierliches Handgelenk. Bei der Belegung von Zeigern, Ziffern und Lünettenmarkierung hat die Firma Sinn nicht mit Leuchtmasse gespart, sodass der Chronograph auch bei schlechten Lichtverhältnissen gut abzulesen ist. Die Nachleuchtzeit überdauerte auch die längste Nacht des Jahres am 21. Dezember mit Bravour.

Junghans

MH: Was die Eigenschaften von Bändern angeht (oder auch beim Tragekomfort einer Uhr), sind Peter und ich mitunter recht unterschiedlicher Meinung. Dieses Mal müssen Sie, liebe Leser, auf eine Kontroverse verzichten. Auch ich halte die Bauhöhe der Sinn schon für sehr üppig, die passt nicht unter jede Manschette. Ich finde beide Uhren sehr angenehm zu tragen. Dazu tragen bei der Junghans der schüsselförmige Stahlboden und bei der Sinn der leicht bombierte Saphirglasboden bei. Beide liegen stabil am Handgelenk und kippen nicht, was auch den relativ niedrigen Gewichten geschuldet ist. Die Sinn wiegt 103 Gramm, die Junghans gar nur 91 Gramm. Beide Bänder passen sich nach kurzer Eintragezeit dem Handgelenk an, selbst das doppellagige Band der Sinn, das in den Proportionen gut zum Gehäuse passt. Auch ich würde Junghans ans Herz legen, mit dem Lieferanten der Schließe zu sprechen. Wenn man die Unterkante der Schließe etwas verrunden würde, würde auch die Oberfläche des handschuhweichen Lederbandes besser geschont. Auch zur hervorragenden Ablesbarkeit beider Uhren ist eigentlich alles gesagt.

Ergänzen möchte ich noch ein Lob zu den hier wie da perfekten Zeigerlängen. Dazu hat Sinn noch Wert auf ein – sorry für das Wortspiel – sinnvolles Zeigerspiel gelegt. Alle Zeiger, die zur Chronographenfunktion gehören, tragen eine kleine Pfeilspitze, die anderen haben stabförmige Enden. Das nenne ich Liebe zum Detail.

TECHNIK, AUSSTATTUNG, GANG

Sinn
Serienmäßig kommt auch die Sinn mit massivem Stahlboden. Die Mehrausgabe für den Glasboden lohnt sich aber.

PB: Das Uhrwerk der Sinn ist von seiner Architektur her ein bewährtes Valjoux-Kaliber, wird aber von der Schweizer Werkemanufaktur Concepto für Sinn produziert. Die Brücken sind perliert bzw. mit Genfer Streifenschliff verziert, die Schraubenköpfe gebläut, die Stahlteile poliert – ein durchaus schöner Anblick unter dem großzügig verglasten Gehäuseboden. Die Gangwerte können sich ebenfalls sehen lassen: Im Schnitt ging die Sinn 103 St Sa an meinem Arm nach einer gewissen Eintragezeit pro Tag stabil drei bis vier Sekunden vor – das sind Chronometerwerte.

Junghans
Ein Stahlboden verhindert den Blick auf das Junghans-Werk.
Junghans
Deshalb haben wir ihn einmal abgeschraubt.

Der achtfach verschraubte Stahlboden verwehrt dem Besitzer der Pilot Chronoscope den Blick auf das überraschend sorgfältig finissierte Uhrwerk mit rhodinierten Komponenten und mikrosablierten Oberflächen. Automatikbrücke, Unruhkloben und Rotor tragen Streifenschliffe. Auch die Gangwerte können sich sehen lassen: Weniger als fünf Sekunden Vorgang pro Tag liegen ebenfalls noch innerhalb der Chronometernorm.

MH: Ergänzen möchte ich an dieser Stelle, dass die Junghans mit einem Modul-Chronographenwerk an den Start geht, das die Kaliberbezeichnung J880.4 trägt. Als Motor fungiert das zuverlässige und stabil laufende ETA 2824-2, die Kurzzeitmessung besorgt ein Modul des Spezialisten Dubois Dépraz. Die Modulbauweise ist von außen daran zu erkennen, dass Kronenwelle und Chronographendrücker nicht auf einer Achse liegen.

Dass Großserienwerke sehr gute Gangwerte produzieren können, wenn sie zuvor sorgfältig einreguliert wurden, zeigt die Gangprüfung unserer beiden Kandidaten. Sie zogen auf unserer Zeitwaage Witschi Chronoscope S1 jeweils einen sauberen Strich. Das sagen Uhrmacher, wenn die Grafik während des Messvorgangs mehr oder weniger waagerecht verläuft. Bei der Sinn ermittelten wir einen durchschnittlichen Vorgang von 6,2 Sekunden am Tag (s/d), bei der Junghans waren es gar nur 3,9 s/d. Die Lagendifferenzen waren in beiden Fällen absolut akzeptabel. Diese Ergebnisse bestätigten sich im Tragetest, wobei bei mir beide Uhren langsamer gingen als auf der Zeitwaage. Bei der Junghans ermittelte ich, über eine Woche betrachtet, einen durchschnittlichen Vorgang von etwas mehr als 2 s/d, bei der Sinn waren es weniger als 4 s/d. Beides ist sehr erfreulich.

FAZIT

MH: Das ist mal wieder ein Fall, bei dem ich keine eindeutige Empfehlung aussprechen kann. Sowohl Junghans als auch Sinn bieten ein gutes bis sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, auch hinsichtlich Verarbeitung oder Ausstattung gibt es nichts zu mäkeln. Die Bauchentscheidung fällt für die Pilot Chronoscope. So etwas fehlt mir noch in der Sammlung, eine Sinn habe ich schon.

PB: Die Tatsache, dass die Junghans Pilot Chronoscope an meinem Handgelenk etwas groß daherkommt, sowie ihre sparsame Ausstattung lassen mich persönlich eher zum Sinn-Klassiker 103 tendieren, auch wenn der schon ein paar Euro teurer ist – und das trotz des Direktvertriebs, durch den ein Produkt ja gegenüber einem Fachhandelsartikel preiswerter werden müsste. Dafür gibt's aber wenigstens einen Glasboden und ein schön finissiertes Uhrwerk. Da will ich mal nicht so knauserig sein.

Text: Peter Braun, Martin Häußermann

Bilder: Martin Häußermann

Weitere Artikel aus der Rubrik «Probezeit»


Botta Uno Automatik 44 vs. MeisterSinger No. 3
Probezeit: Frederique Constant Monolithic vs. Grand Seiko Spring Drive
Hublot Classic Fusion Original vs. Porsche Design Sport Chrono Subsecond
Teilen
Ähnliche Artikel
Artikel teilen

Bitte wählen Sie eine Plattform, auf der Sie den Artikel teilen möchten:

Beitrag melden

Fehler: Kontaktformular wurde nicht gefunden.

xxx
Newsletter-Anmeldung

* Pflichtfeld

** Ja, ich möchte regelmäßig den Newsletter von armbanduhren-online.de, zum Thema Armbanduhren der Heel Verlag GmbH per E-Mail erhalten. Diese Einwilligung kann ich jederzeit per Mail an armbanduhren@heel-verlag.de oder am Ende jeder E-Mail widerrufen.Durch die Bestätigung des «Eintragen»-Buttons stimme ich zusätzlich der Analyse durch individuelle Messung, Speicherung und Auswertung von Öffnungsraten und der Klickraten zur Optimierung und Gestaltung zukünftiger Newsletter zu. Hierfür wird das Nutzungsverhalten in pseudonymisierter Form ausgewertet. Ein direkter Bezug zu meiner Person wird dabei ausgeschlossen. Meine Einwilligungen kann ich jederzeit mit Wirkung für die Zukunft wie folgt widerrufen: Abmeldelink im Newsletter; Mail an armbanduhren@heel-verlag.de. Weitere Informationen erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.