Probezeit: Neue Uhrwerke

Baumatic vs. Update

Wir befinden uns im vierten Jahrhundert nach Christiaan Huygens, dem Erfinder der Unruh. Die ganze Uhrenwelt in der Region zwischen 1000 und 5000 Euro ist von Großserienwerken besetzt. Die ganze Uhrenwelt? Nein! Im Müglitztal hört ein von uhrenverrückten Sachsen bevölkerter Bahnhof nicht auf, den Sellitas und ETAs dieser Welt mit funktionellen Eigenentwicklungen Widerstand zu leisten. Sogar eigene Hemmungssysteme – nach dem Huygens’schen Prinzip – bauen die Sachsen von Nomos inzwischen. Nun haben sie schon wieder einen neuen tickenden Zaubertrank gemixt und sind preislich noch immer nicht abgehoben.
Baume & Mercier Clifton Baumatic Nomos Tangente Neomatik 41 Update
Probezeit für Baume & Mercier Clifton Baumatic und Nomos Tangente Neomatik 41 Update

Das nehmen ja auch die Eidgenossen von Baume & Mercier für sich in Anspruch. «Bezahlbarer Luxus» lautet ihre Parole, mit der sie auf die Jagd nach (nein, nicht nach Wildschweinen) Kunden gehen, was laut Aussage des Managements auch ganz gut funktioniert. Nur ein eigenes Uhrwerk, das blieb der Marke mit dem wohlklingenden Namen bisher versagt. Das hat sich nun geändert, denn der große Rat vom Stamme Richemont beschloss voller Güte, dass Baume & Mercier in den Genuss des Zaubertranks kommen soll, den die Druiden des Konzerns zusammengestellt haben und der angeblich unbesiegbar macht.

Kurz zusammengefasst für alle, die bisher mit der Stirn gerunzelt haben und mit der Diktion von Asterix und Obelix möglicherweise nichts anfangen können: Nomos Glashütte hat nur zwei Jahre nach der Vorstellung des hauseigenen Automatikkalibers DUW 3001 nun das DUW 6101 mit Datumsanzeige nachgeschoben, das in drei verschiedenen Uhren zum Einsatz kommt, unter anderem in der Tangente Neomatik 41 Update. Sie findet eine wunderbare Spielpartnerin in der ebenfalls ganz neuen Clifton Baumatic der Marke Baume & Mercier, die erstmals – und als Erste – das vom Richemont-Thinktank RIMS in Neuenburg entwickelte und beim konzerneigenen Werkehersteller ValFleurier gebaute Automatikwerk nutzen darf. Hier wie da feine Manufakturmechanik für 2600 Euro (Baume & Mercier) bzw. 3200 Euro (Nomos). Wir sind gespannt, wie sich die beiden Neuheiten, mit denen uns die Hersteller auf den Messen den Mund wässrig gemacht haben, im Alltag bewähren.

Erster Eindruck

Martin Häußermann: Meist sind echte Neuheiten – wir reden jetzt nicht von Gehäuse- und Zifferblattvarianten –, die wir in Genf und Basel zu sehen bekommen, Prototypen oder zumindest Vorserienmodelle. Deshalb dauert es immer seine Zeit, bis serienreife Uhren in den Handel kommen – oder eben zu uns zur Probezeit. Aber sowohl Nomos als auch Baume & Mercier haben ihre Hausaufgaben gemacht, sodass die Tangente und die Baumatic fast zeitgleich in der Redaktion eintreffen.

Das Warten hat sich gelohnt. Was mich spontan beeindruckt, ist der elegante, unaufgeregte Auftritt beider Uhren, obwohl es beide faustdick unterm Zifferblatt haben. Die Baumatic ist ein geprüfter Chronometer mit sage und schreibe fünf Tagen Gangautonomie, wie man auch auf dem Zifferblatt lesen kann. Dieses Blatt ist ein Augenschmaus. Es sieht aus, als wäre es aus Emaille oder Porzellan, tatsächlich ist es aber lackiert und «porzellanartig veredelt», wie der Hersteller formuliert. Darauf sitzen fein facettierte Stahlindexe, die schön mit den Lanzenzeigern korrespondieren. Das wirkt gediegen und elegant, allerdings ist die Ablesbarkeit aufgrund des geringen Kontrasts von Zeigern und Blatt nicht optimal. Dafür hat man bei der Dimensionierung der Datumsanzeige an die Generation Gleitsicht gedacht.

Das stellt sich bei der Nomos doch ein wenig anders dar. Hier ist die Uhrzeit einwandfrei ablesbar, dem kontrastreichen Zifferblatt sei gedankt. Dafür tue ich mich mit dem Ablesen des Datums schwer. Die Ziffern am äußersten Rand des Zifferblatts sind für meinen Geschmack etwa klein geraten. Sie sind zwischen ovale Öffnungen gedruckt, unter denen sich eine Scheibe dreht, die im Wesentlichen weiß lackiert ist. Ein rotes Segment rahmt dann buchstäblich das gültige Datum ein. Wie das technisch gelöst ist, kann Kollege Peter Braun besser erklären, schließlich hat er sich auf der BASELWORLD lange mit dem Konstrukteur Theo Prenzel unterhalten. Mir gefällt die ungewöhnliche Datumsanzeige trotz erschwerter Ablesbarkeit, weil sie perfekt mit der puristischen Gestaltung des Tangente-Zifferblatts harmoniert.

Tragegefühl

MH: Das läuft für mich auf ein klares Unentschieden hinaus. Zwar ist das im Bereich des Bandanstoßes gedoppelte Alligatorlederband der Baumatic am Anfang etwas steif, aber das gilt auch für das Pferdelederband der Nomos. Beide Bänder passen sich nach einigen Tagen Tragezeit gut ans Handgelenk an und sorgen hier für einen komfortablen Sitz. Außerdem lassen sich an beiden Uhren die Bänder schnell und bequem tauschen. Um die Federstege der Nomos zu komprimieren, benötigt man zwar ein Bandwechselwerkzeug, aber wer einigermaßen ruhige Hände hat, kriegt das kratzerfrei hin. Dann kann man im Sommer eines der schicken Original-Textilbänder montieren.

Bei der Baumatic geht’s noch einfacher. Da löst man den Federsteg mit einem kleinen Riegel an der Innenseite des Bandes, der mit dem Fingernagel ein wenig nach innen verschoben wird. An der Innenseite der Bandhörner entdecke ich je zwei Aussparungen, weil das optionale Stahlband eine andere Montageposition benötigt als das serienmäßige Lederband. Da beide Uhren echte Leichtgewichte sind, werden sie zu lässigen, bequemen Begleitern. Die Größe zwischen 40 mm (Baumatic) und knapp 41 mm (Tangente) eignen sich für mein Handgelenk perfekt.

PB: Die Nomos wirkt größer, als der gemessene Unterschied zur Baume & Mercier von einem Millimeter im Durchmesser vermuten ließe. Sie ist aber auch erheblich flacher als diese: 8,1 mm statt 10,5 mm, das verfehlt seine Wirkung nicht. Beide Uhren sind dennoch ausgesprochen angenehm zu tragen, denn mit ihrer angeschrägten Lünette und dem leicht bombierten Glas macht sich die Baumatic am Handgelenk flach. Ihre konventionelle Dornschließe lässt sich leichter bedienen und trägt weniger auf als die betont schlicht designte Nomos-Dornschließe, die wiederum mit ihrer Kantigkeit gut zum Tangente-Gehäuse passt. Sehr gut finde ich das Bandwechselsystem der Baumatic mit dem Schieberiegel – ich habe mich einfach schon zu lange über die Federstege geärgert.

Baume und Merier
Die Kombination aus moderner Konstruktion und klassischer Dekoration gefällt dem Uhrenfreund.

Technik, Ausstattung & Gang

MH: Erhöhte Alltagstauglichkeit war oberstes Gebot bei der Entwicklung des Automatikwerks, das unter der Kalibernummer BM12-1975A in der Baumatic Premiere feierte. Das erzählte mir Edouard Mignon vom Forschungs- und Entwicklungsinstitut RIMS der Richemont-Gruppe am Rande des S.I.H.H. in Genf: «Wir wollten keine Rekorde erzielen, sondern alltägliche Probleme lösen.» Die hohe Gangautonomie von garantiert 120 Stunden ermöglicht es beispielsweise, die Uhr als Alltagsuhr unter der Woche zu tragen und am Wochenende gegen eine Sportuhr zu tauschen oder sie auch als «Wochenenduhr» zu nutzen. In beiden Fällen wird sie voll aufgezogen nicht stehen bleiben. Die Resistenz gegenüber Magnetfeldern, wie sie von Smartphones oder von mit Magneten verschlossenen Handyhüllen ausgehen, ist sicher ebenso positiv zu bewerten wie die langen Serviceintervalle. Diese betragen nun – je nach Trageverhalten – fünf bis sieben Jahre, das sind zwei Jahre mehr als die branchenübliche Empfehlung. Dazu hat Mignons Team neue Schmiermittel und speziell gestaltete Lagerstellen entwickelt.

Die Magnetfeldresistenz bis 1500 Gauß erzielen die Uhrenentwickler mithilfe einer Siliziumspirale. Das Material der sogenannten «TwinSpir»-Unruhspirale besteht aus zwei unterschiedlich ausgerichteten Schichten, die eine komplette Homogenität und Temperaturunempfindlichkeit bewirken sollen. Weiterhin sind auch Anker und Ankerrad aus Silizium gefertigt. Das eröffnete die Möglichkeit, «mit Formen zu spielen», wie Mignon es formulierte. Die aneinander angepassten Kontaktflächen führten nach Aussage des Entwicklers zu einem Effizienzgewinn von 30 Prozent. Reguliert wird mit Gewichten auf den vier Schenkeln der aus Berylliumbronze gefertigten Unruh. Damit lassen sich offensichtlich problemlos Chronometer-Gangwerte erzielen. Dafür sprechen nicht nur das mitgelieferte COSC-Zeugnis, sondern auch unsere Messungen. Nicht nur auf unserer Zeitwaage Witschi Chronoscope S1 lief die Baumatic – praktisch ohne Abfallfehler – mit 4 Sekunden am Tag ins Plus, an meinem Arm lief sie mit stabil plus 3 s/d ein wenig langsamer. Diese Tendenz setzt sich auch bei der Tangente fort: Das Messgerät ermittelte durchschnittlich plus 2,4 s/d, an meinem Arm waren es ziemlich genau 2 s/d.

PB: Das Update-Kaliber DUW 6101 steht mit einer Bauhöhe von nur 3,6 mm in der Tradition der Neomatik (DUW 3001) von 2015. Flache Werke sind eine wichtige Voraussetzung für das – meiner Meinung nach zu Recht – allseits bewunderte Nomos-Uhrendesign, und so entpuppte sich der harmlos klingende Wunsch der Produktentwickler nach einer Datumsanzeige für den Konstrukteur als recht knifflige Aufgabe. Konstruktionsleiter Theo Prenzel gelang es durch geschicktes Umarrangieren der Baugruppen, den Höhenzuwachs gegenüber dem DUW 3001 auf 0,4 mm zu begrenzen. Maßgeblich verantwortlich für die flache Bauweise und Grund für den für Nomos-Verhältnisse relativ großen Durchmesser der Uhr ist indes die um das Werk herumgeführte Datumsscheibe, die auf einer Ebene mit der Werkoberfläche liegt. Das kennt man bereits von früheren Nomos-Kalibern mit Datum, doch diese hatten keine Möglichkeit zur Schnellverstellung – schon gar nicht dermaßen butterweich in beide Richtungen. Der Gang der Neomatik betrug an meinem oft vom Fahrrad erschütterten Handgelenk um die 2 Sekunden pro Tag (Vorgang), und das trotz der niedrigeren Schwingfrequenz von 21.600 A/h.

Die Baumatic arbeitet mit 28.800 A/h und hat dazu eine deutlich höhere Gangreserve. Dennoch ging die als geprüfter Chronometer zertifizierte Uhr am Arm nicht besser als die Nomos – aber auch nicht schlechter. Obwohl ich wahrscheinlich nicht täglich mit starken Magnetfeldern in Kontakt komme, halte ich Magnetfeldresistenz grundsätzlich für eine gute Sache. Der kleine Traditionalist in mir sträubt sich jedoch gegen alle möglichen Bauteile aus unedlen Substanzen wie Silizium. Dabei ist mir schon klar, dass auch Stahlteile von hochpräzisen Werkzeugmaschinen hergestellt werden und da kein kurzsichtiger Uhrmacher im Schein einer blakenden Petroleumlampe daran herumfeilt. Trotzdem: Die klassisch-raffinierte Technik und die extraflache Bauweise des Nomos-Kalibers beeindrucken mich mehr als TwinSpir und Silizium-Hemmung der Baumatic. Und damit überlasse ich das Schlussfazit gern dem geschätzten Kollegen Häußermann.

Fazit

MH: Sowohl die Schweizer als auch die Sachsen haben im besten Wortsinne ein gutes Werk vollbracht. Nicht nur technisch, sondern auch im Sinne von Mechanikfreunden mit überschaubaren Budgets. Die Preisdifferenz von 600 Euro ist wohl hauptsächlich in der jeweiligen Unternehmenspolitik zu suchen. Während bei Nomos eine klassische kaufmännische Aufschlagskalkulation üblich ist, entschied sich der Richemont-Konzern für einen politischen (Kampf-)Preis. Den Kunden soll’s recht sein.

Text: Peter Braun, Martin Häußermann
Bilder: Martin Häußermann


Die interessantesten Uhren-Paare in unserer Reihe «Probezeit»:

Baume & Mercier Clifton Baumatic vs. Nomos Tangente Neomatik 41 Update

Habring2 Doppel-Felix Datum vs. Sinn 910 Jubiläum

A. Lange & Söhne Richard Lange Springende Sekunde vs. Jaeger-LeCoultre Geophysic Universal Time

Chronoswiss Flying Regulator vs. Erwin Sattler Régulateur Classica Secunda

Davosa Titanium Automatic vs. Stowa Seatime «Black Forest»

Carl F. Bucherer Patravi Scubatec vs. Ulysse Nardin Marine Diver

Bethge &. Söhne Nautica Diver vs. Marcello C. Nettuno 3

Damasko DC 58 Chronograph vs. Stowa 1938 Chronograph

Seiko Presage Multifunktion vs. Tissot Ballade C.O.S.C. Silizium

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