Wie lange noch?Die Gangreserve
Mechanische Uhrwerke bleiben irgendwann stehen, wenn man sie nicht aufzieht – manche früher, manche später. Was sagt die Gangreserve über die Qualität eines Uhrwerks aus?
Die Schwingfrequenz eines Uhrwerks wird üblicherweise in Unruh-Halbschwingungen pro Stunde angegeben. Das Kürzel lautet A/h und steht für Amplitude pro Stunde. Techniker bestehen auf der genaueren Einheit für Frequenz, Hertz (Hz), per Definition «1 pro Sekunde». Die Umrechnung ist einfach, wenn man bedenkt, dass A/h für halbe Schwingungen steht und sich die Einheit Hertz auf vollständige Zyklen (Hin-und-her-Schwingen) bezieht:
18.000 A/h entsprechen 2,5 Hertz. Der Sekundenzeiger bewegt sich mit 5 kleinen Schritten pro Sekunde.
36.000 A/h entsprechen 5 Hertz. Der Sekundenzeiger bewegt sich mit 10 kleinen Schritten pro Sekunde.
Die beiden genannten Werte markieren den Korridor, in dem sich die Schwingfrequenz eines Armbanduhrwerks üblicherweise bewegt. Gebräuchliche Größen sind außerdem 21.600 A/h (3 Hz) und 28.800 A/h (4 Hz). Schätzungsweise 90 Prozent aller in Europa produzierten mechanischen Uhrwerke arbeiten mit 28.800 A/h, weil 4 Hertz offenbar einen guten Kompromiss zwischen Gangstabilität, Gangpräzision und Gangdauer darstellen.
Die Schwingungen von Unruh und Hemmung (d. h. Anker und Ankerrad) bedingen einander: Die Unruh kippt den Anker hin und her, und der Anker verleiht der Unruh dabei jedes Mal einen kleinen Stups, damit sie gegen die Rückstellkraft der Spiralfeder weiterschwingt. Das kostet Energie, und so nimmt die Kraft im Federhaus kontinuierlich ab. Daraus folgt:
Je langsamer die Schwingfrequenz, desto länger die Gangdauer.
Jeder Störimpuls von außen, zum Beispiel eine Erschütterung, bringt das Schwingsystem für einen Moment aus dem Tritt, und es dauert ein paar Amplituden, bis es sich wieder stabilisiert hat. Je schneller die Schwingungen aufeinander folgen, desto schneller beruhigt sich das System. Ergo:
Je höher die Schwingfrequenz, desto besser Gangstabilität und Gangpräzision.
In den 1970er Jahren wurden die braven Uhrwerke mit 18.000 und 21.600 A/h mehr und mehr von den «Schnellschwingern» mit 28.800 A/h verdrängt, die in der Tat bei vergleichbarer Qualität der Regulierung bessere Gangwerte zeigten.
Eine weitere Anhebung der Schwingfrequenz auf 36.000 A/h – bspw. durch Zenith und Girard-Perregaux – brachte keinen nennenswerten Zugewinn an Gangpräzision, dafür aber Probleme mit der Ölhaltung an der hoch belasteten Unruhlagerung: Das dünnflüssige Schmiermittel wurde förmlich abgeschleudert und verteilte sich im gesamten Uhrwerk. Außerdem mussten die beweglichen Teile der Hemmung mit größerer Präzision gefertigt und justiert werden, um mechanische Fehlfunktionen auszuschließen.
Beide Probleme sind heute fertigungstechnisch bzw. durch verbesserte Öle leicht in den Griff zu bekommen, und so lassen sich die üblichen Schwingfrequenzen wie folgt charakterisieren:
36.000 A/h stehen für das entscheidende Quäntchen Präzision;
28.800 A/h sind ein perfekter Kompromiss;
25.200 A/h helfen, die komplexe Kinematik der Co-Axial-Hemmung von Omega sicher zu beherrschen;
21.600 A/h verweisen oft auf eine klassische Konstruktion aus den 1960er Jahren, werden aber auch gern eingesetzt, um eine längere Gangdauer zu erwirken (z. B. ETA Powermatic);
18.000 A/h sind etwas für Traditionalisten, denn sie ermöglichen eine große Unruh, die sich beim gemütlichen Hin-und-her-Schwingen beobachten lässt.
Auch interessant: Tourbillons gibt es heutzutage mit allen gängigen Schwingfrequenzen von 2,5 bis 5 Hertz.
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