Wie lange noch?

Die Gangreserve

Es gibt da unter Uhrenfachleuten diese Grundsatzdiskussion, ob eine Gangreserveanzeige bei einer Uhr mit automatischem Aufzug überhaupt einen Sinn macht. Bei Handaufzugsuhren ist der Fall klar: Wenn sich der kleine Zeiger dem Ende seiner Skala nähert, sollte man mit ein paar Kronendrehungen dafür sorgen, dass die Feder im Federhaus wieder etwas gespannt wird.
Im Grunde funktioniert die Gangreserveanzeige wie eine Benzinuhr: Bei Rot wird es kritisch! (Chopard Superfast)

Beim Entspannen dieser Feder wird schließlich die Energie frei, die es braucht, um das Räderwerk in kontrollierte Bewegung zu versetzen, damit die Zeiger uns die richtige Uhrzeit anzeigen. Wenn nun dieses «Aufziehen» durch die Bewegung eines Rotors an der Werkrückseite automatisch erfolgt, und zwar bei jeder Bewegung des Unterarms, dann ist der Kraftspeicher ja immer gefüllt. Wozu dann also die Anzeige?


Halb voll oder halb leer?

Im deutschen Uhrmacherjargon spricht man bei der Gangreserveanzeige vom «Auf- und Ab-Werk» (Glashütte Original PanoReserve)

Es kann nie schaden, wenn man über den Spannungszustand der Aufzugsfeder informiert ist, denn auch eine Automatikuhr bleibt stehen, wenn man sie nicht bewegt. Und wenn man das gute Stück aus der Schublade nimmt, weiß man nicht immer, wie lange es da schon gelegen hat. Die Uhr mag zwar noch ticken bzw. der Sekundenzeiger ruckeln, aber mit welcher Präzision er das tut, das ist mit bloßem Auge nicht auszumachen.

Die gleichmäßige Kraftzufuhr zum Räderwerk ist einer der Schlüssel zur Ganggenauigkeit, und so kommt der Konstruktion von Federhaus und Feder große Bedeutung zu. Die Feder muss zum Beispiel über ihre gesamte Länge (die bei Armbanduhren leicht einen halben Meter betragen kann) gleich dick und gleich breit sein, sonst entspannt sie sich im Innern des engen Federhauses nicht weich und gleichmäßig, sondern ruckhaft – mit verheerendem Einfluss auf das Gangverhalten des Uhrwerks.

Die Oberfläche der Federhauswandung wiederum muss spiegelglatt sein, und der sogenannte Federkern (auf den die Feder aufgewickelt ist) muss sich leichtgängig drehen. Mit der heutigen Fertigungspräzision ist das alles kein Problem mehr, und auch das früher problematische Verhalten einer gehärteten Stahlfeder beim Entspannen wird durch moderne Materialien weitgehend kompensiert. Dennoch lässt sich die Physik nicht überlisten: Kurz vor Vollaufzug oder vollständiger Entspannung wird jede Spiralfeder schlapp, weshalb man zum Antrieb des Uhrwerks am liebsten nur den mittleren Spannungsbereich nutzt. Nach oben lässt sich die Spannung durch einen sogenannten Gleitzaum begrenzen, ein Stück gegenläufige Federwicklung, die sich von innen an die Federhauswand presst und bei beginnender Überspannung einfach durchrutscht. Nach unten gibt es dagegen keine Sicherung: Wenn die Federkraft zu schwach wird, fängt die Unruh an, unkontrolliert zu pendeln. Kurz vor dem Stehenbleiben geht die Uhr völlig nach dem Mond.


Hohe Gangreserve,
lange Gangstabilität

Ein weiteres beliebtes Diskussionsthema unter Uhrenkonstrukteuren ist die Höhe der Gangreserve, das heißt die Gangdauer nach Vollaufzug bis zum Stillstand. Hier galten lange Zeit 40 Stunden als das Maß aller Dinge – das reichte, um die Uhr auch mal einen Tag abzulegen. Dann propagierten manche Hersteller 72 Stunden als erstrebenswerte Gangreserve, damit man die Uhr quasi das ganze Wochenende in die Schublade legen konnte und sie am Montagmorgen noch immer lief. Inzwischen sind fünf Tage Gangreserve populär – damit man das gute Stück nicht auf der Arbeit verschleißt und trotzdem jedes Wochenende ohne Nachstellen die korrekte Zeit aus der Schublade zaubern kann. Doch diese Argumentation verschleierte lediglich das wirkliche Ansinnen der Konstrukteure, nämlich einen möglichst langen «mittleren Bereich» der Federspannung zu haben, um das Uhrwerk mit gleichmäßiger Kraft zu versorgen.

Ab drei Tagen Gangreserve wird es zunehmend schwieriger, die Kraft in einem einzelnen Federhaus zu speichern. Die Feder muss stärker werden, das Federhaus sollte aber nicht zu groß werden – da wird es eng im Innern, wodurch das Risiko steigt, dass die Federwindungen aneinanderkleben und sich beim Entspannen ruckartig lösen. Manche Uhrenhersteller verteilen die Kraft auf zwei parallel oder hintereinander («in Reihe») geschaltete Federhäuser von unproblematischer Größe. Panerai setzt bei manchen Uhrwerken drei kleine in Reihe geschaltete Federhäuser ein, Chopard sogar vier.

Wer mehr Gangreserve aus einem einzelnen Federhaus herausholen will, kann natürlich auch den Kraftbedarf des Uhrwerks verringern – durch Vermindern der Reibung in den Rädern und Trieben sowie in der Hemmung. Oder man verringert einfach die Schlagzahl der Hemmung von 28.800 auf 21.600 A/h, das spart ebenfalls Kraft. Unterm Strich kann man sagen, dass eine hohe Gangreserve bei einer hohen Schlagzahl für eine hohe konstruktive und fertigungstechnische Qualität steht. Und dass diese ihren Niederschlag letzten Endes in der Gangpräzision des Uhrwerks findet. (Peter Braun)

 

Weiterlesen:
Profi-Wissen: Stopp mal! Der Chronograph.
Profi-Wissen: Ein Zeiger. Was misst der?
Profi-Wissen: A/h – die Schlagzahl!

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