Probezeit: Degussa Classic Edition vs. Union 1893 Kleine Sekunde

Echt goldig

Ausnahmsweise wollen wir diese Probezeit mit einem kurzen Unternehmensportrait beginnen. Nein, nicht mit Union Glashütte. Die Traditionsmarke aus dem sächsischen Müglitztal ist dem geneigten Leser sicher wohlbekannt. Aber Degussa?

Ja, das sind die mit Münzen, Gold- und Silberbarren. Der Firmenname ist ein Akronym und steht für Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt. Gegründet wurde selbige schon im Jahr 1873. Bis zur Jahrtausendwende entwickelte sie sich zu einem großen Unternehmen, das schließlich unter dem Dach des Konzerns Evonik Industries landete. Deren Entwicklung ist für unsere Geschichte eher von geringer Bedeutung, nicht aber die Tatsache, dass man sich 2010 dazu entschloss, die Degussa-Namensrechte und auch den Goldhandel an den in der Schweiz lebenden Milliardär August von Finck jun. zu verkaufen. So ist die aktuelle Degussa Goldhandel GmbH also keine zehn Jahre alt, ins Uhrengeschäft stieg man sogar erst im Jahr 2014 ein.

Maßgeblichen Einfluss dürfte hier das Geschäftsleitungsmitglied Raphael Scherer gehabt haben, der vor seinem Wechsel zu Degussa in leitender Position bei Chopard tätig gewesen war. Das ist wohl auch die Erklärung dafür, dass Degussa-Uhren in der Goldstadt Pforzheim gefertigt werden, der Heimat der Chopard-Inhaberfamilie Scheufele. Inzwischen umfasst das Degussa-Uhrenangebot rund 30 unterschiedliche Referenzen, der Spielraum reicht von einer im Bauhaus-Design gehaltenen Weißgolduhr mit Ronda-Quarzwerk (2625 Euro) bis hin zu einem auf 25 Exemplare limitierten Editionsmodell mit dem Handaufzugskaliber 33.1 der Uhrenwerke Dresden (UWD) im 42-Millimeter-Roségoldgehäuse für 11.950 Euro. Wir haben uns anlässlich dieser Probezeit für die Classic Edition entschieden, die hier gegen die 1893 Kleine Sekunde von Union Glashütte antritt. Goldhändler gegen Uhrenspezialist, Direktvertrieb gegen Fachhandelsmarke, knapp 4000 Euro gegen 7600 Euro. Ist das nicht unfair? Wir finden, nein. Das sind viele Facetten derselben (Gold-)Medaille.

Degusa classic edition
Sauber: Eine klare Designlinie kennzeichnet die schlanke Degussa, die obendrein ein feines Zifferblatt mit aufgesetzten Indexen und perfekt dimensionierten Zeigern mitbringt. Fehlender Kontrast beeinträchtigt ein wenig die Ablesbarkeit.

Erster Eindruck

Peter Braun: Gelbgold oder Roségold? Vor zwanzig Jahren hätte sich diese Frage nicht gestellt, wie ein Blick in die alten ARMBANDUHREN Kataloge zeigt. Damals waren Goldgehäuse mit höherem Kupferanteil («5N» statt «3N») eher die Ausnahme als die Regel, und heute ist es umgekehrt. Die Degussa strahlt in einem hellgelben Goldton, und irgendwie passt der ganz gut zum traditionsreichen deutschen Namen und zur etwas altmodischen Ausstattung der flachen (7,5 mm) und erfreulich kleinen (38,5 mm) Armbanduhr. Das Schönheitsideal, dem die Automatikuhr huldigt, trägt ganz klar die Züge der Calatrava, und somit ist «altmodisch» hier keine Kritik, sondern eher eine Anerkennung. Aufgesetzte, scharf facettierte Stundenmarker und schlanke Dauphin-Zeiger samt «Schienen»-Minuterie machen Eindruck, der fein ziselierte Schriftzug und der hauchzarte goldene Fensterrahmen um das Datum zeugen von Sorgfalt im Detail.

Die Union wirkt nicht nur deutlich größer als die Degussa, sondern sie ist auch höher und glänzt in einem satten Roségoldton. Dieser passt wiederum gut zum Zifferblatt im Emaillelack-Finish, das augenfällig von den Taschenuhren aus der Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende inspiriert ist: Geschwungene arabische Ziffern, gebläute Blattzeiger, ebenfalls eine Schienen-Minuterie sowie eine Kleine Sekunde zitieren die hohe Schule der Gründerzeit. Das Datumsfenster am unteren Rand der vertieften Sekundenskala wirkt ein wenig bedrängt von der mit feinem Strich gemalten Pracht. Da ich Armbanduhren, die wie Taschenuhren aussehen wollen, prinzipiell nicht so toll finde, vergebe ich innerlich den ersten Pluspunkt an die Degussa, die meinem Ideal von der goldenen Ausgehuhr mehr entgegenkommt als die Union.

Martin Häußermann: Zwecks erster Begutachtung, Fotografie und Gangwertermittlung sind beide Uhren zunächst auf meinem Tisch gelandet. Und gleich nach dem Auspacken wird der Größenunterschied sichtbar. Obwohl die Union mit gemessenen 41,5 Millimetern Durchmesser nach heutigen Maßstäben sicher nicht überdimensioniert ist, kommt sie im Vergleich zu der drei Millimeter kleineren Degussa tatsächlich wie ein Bolide daher. Bei der Verarbeitungsqualität lässt sich hier wie da kein Haar in der Suppe finden. Das passt. Erfreulich ist die Transparenz von Degussa, die in den technischen Daten mitteilt, dass der 77 Gramm schwere Uhrenkopf genau 32 Gramm reines Gold enthält.

Ich hatte an dieser Stelle ja schon mehrfach erwähnt, dass mir gut gemachte Zifferblätter sehr wichtig sind, weil sie den Charakter einer Uhr maßgeblich mitbestimmen. Beide Probezeit-Kandidaten warten – wie vom Kollegen bereits ausführlich beschrieben – mit großem Detailreichtum auf. Das unterstreicht die Hochwertigkeit beider Uhren. Dass die Union ein wenig auf ihre Gründerzeit – wie sie ja auch im Modellnamen verankert ist – reflektiert, ist ihr nicht vorzuwerfen. Ein wenig schade ist allerdings, dass sie das nur halbherzig macht – und nur mit einem lackierten Zifferblatt in Emailleoptik ausgestattet ist. Ein echtes Emailleblatt hätte es schon sein dürfen, dann wäre der ambitionierte Preis auch eher zu rechtfertigen. Bei der Degussa stört mich sofort das sehr steife Kalbslederband, von dem ich hoffe, dass es sich in den nächsten Tagen buchstäblich erweichen lässt.

Bei beiden Modellen frage ich mich, warum man echtgoldene Uhren nicht auch mit echten – und weichen – Krokodillederbändern ausstattet.

Tragegefühl, Bedienung, Ablesbarkeit

PB: Voller Vorfreude lege ich mir die Degussa ans Handgelenk und fädele das noch etwas steife Kalbslederband mit Krokoprägung in die schmucklose Echtgold-Dornschließe. Aber irgendwie passt die Uhr nicht. Kennen Sie das Gefühl, wenn die Uhr immer nach außen, auf die Außenkante des Handgelenks wandert, wenn man das Band komfortabel (= locker) trägt? Dann fühlt man sich gezwungen, das Ganze ein Loch enger zu schnallen – mit dem Effekt, dass die Uhr jetzt zwar mittig am Arm sitzt, man das Band aber bei jeder Handbewegung spürt. Wahrscheinlich bekommt man das Problem mit einem weicheren Armband in den Griff.
Überraschenderweise trägt sich die viel größere und auch schwerere Union angenehmer am Handgelenk, und das, obwohl ihr Armband ebenso wenige Reptilgene in sich trägt wie das der Degussa. Dafür sind die Bandanstöße weiter nach unten gebogen – ob das schon den Unterschied macht? Besser ablesbar ist die Union obendrein wegen der stark kontrastierenden Zeigerfarbe. Dass mir der Look der Degussa besser gefällt und ich sie deshalb in puncto Ablesbarkeit in Schutz nehme, mögen mir die Leser verzeihen (ich habe auch tatsächlich schon schlechter ablesbare Uhren gesehen). Aber der Punkt beim Tragekomfort geht an die Union.

MH: Die Meinung meines Kollegen zum Tragekomfort der beiden Uhren teile ich uneingeschränkt. Ergänzend muss ich noch sagen, dass ich dieses Mal beide Uhren schon «eingetragen» hatte, bevor ich sie an Peter Braun übergab. Auch das Band der Union war anfangs etwas steif, hat sich allerdings nach wenigen Tagen meinem Handgelenk angepasst. Das Band der Degussa hat sich offensichtlich auch beim zweiten Testträger nicht wie erhofft erweichen lassen. Das ist schade, denn das wohlproportionierte, schlanke und flache Gehäuse der Degussa bringt eigentlich alle Anlagen für eine dezente und angenehme Begleiterin mit, die unter jede Manschette schlüpft. Perfekt für eine Anzugsuhr.

Als Alltagsbegleiter würde ich beide Uhren nicht nutzen, schließlich hantiere ich bei der Arbeit oft mit allerlei Gegenständen. Gold ist und bleibt aber ein weiches Material, die schön finissierten Oberflächen beider Uhren würden unverhältnismäßig schnell leiden. Daher habe ich die Uhren auch untertags immer wieder abgelegt. Einstellen lassen sich beide Uhren schnell und problemlos – auch die Degussa mit ihrer doch sehr zierlichen Krone. Das Kapitel Ablesbarkeit geht auch für mich dank des höheren Kontrasts klar an die Union.

Noch ein Wort zu den Zeigerlängen. Die sind bei der Degussa perfekt. Bei der Union gibt es auch an Stunden- und Minutenzeiger nichts zu meckern, der Sekundenzeiger jedoch könnte etwas länger sein, damit er die Sekundenskala komplett überstreicht.

UNION 1893 KLEINE SEKUNDE
Retrolook: Die Zifferblattgestaltung orientiert sich an alten Taschenuhren mit Emaillezifferblatt. Tatsächlich ist das Blatt aber nur in gebrochenem Weiß lackiert, die Zeiger sind zumindest temperaturgebläut.

Technik, Ausstattung & Gang

PB: Uhrwerktechnisch geben beide «Goldstücke» nicht wirklich viel her, auch wenn die Union mit einem «eigenen Kaliber» prahlt. Dass es sich dabei um ein ETA-Grundwerk handelt, verrät schon die Punze auf der Platine neben der Unruh. Auch das Rotorlager verweist auf das ETA 2892A2, das allerdings in Glashütte mit Schliffen veredelt und mit einem neuen Aufzugsrotor sowie einem Modul für die Kleine Sekunde aufgerüstet wird. U2899-ZZ6 lautet die neue Kalibernummer, und der Umbau treibt die Werkhöhe von 3,6 auf stolze 5,6 Millimeter. Kein Wunder, dass die Union 1893 Kleine Sekunde so viel höher baut als die Degussa. Diese verwendet ein Sellita Kaliber SW300-1, quasi baugleich mit dem ETA 2892A2 und ebenso zuverlässig wie dieses.

Zum Gang der beiden Uhrwerke im Alltag kann ich zu meinem Leidwesen keine fundierten Angaben machen, da ich beide Kandidaten in meiner Freizeit ablegte (ZB oben), auf dass nur ja kein Kratzer drankomme! Wenn ich geschäftlich damit unterwegs war, dann stets mit langen Hemdsärmeln und zugeknöpften Manschetten zum Schutz. Und dennoch sehen die Uhren nach der relativ kurzen Zeit nicht mehr so gut aus wie beim Fotoshooting zu Anfang des Tests, wie mir scheint.

Zu den Gangwerten in den einzelnen Lagen kann Martin sicher einiges mehr sagen, denn seine Witschi lügt bekanntlich nicht. Allerdings habe ich mich in den Wochen der Probezeit nie verspätet – so schlecht können die Werte nicht gewesen sein. Die Werke von ETA und Sellita stehen schließlich für industrielle Präzision.

MH: Ehrlich gesagt vermisse ich schon ein wenig die – lange vergangenen – Zeiten, als man bei der Union noch Uhrwerke bekam, die konstruktiv von der großen Schwester Glashütte Original abstammten, dort aber in die Jahre gekommen waren oder einfach ein etwas schlichteres Finish erhielten. Tempi passati! Nun bekommt der Union-Käufer ETA-Werke, die nach der gültigen Glashütte-Regel im Müglitztal modifiziert werden. Zur Erinnerung: Die Regel besagt, dass mehr als 50 Prozent der Wertschöpfung an einem Uhrwerk in Glashütte erfolgen müssen.
Diese Auflage hat Degussa nicht, der Goldhändler kann Uhrwerke einkaufen, wo er mag, und diese dann auch unverändert einbauen. Genau das scheint bei unserem Testmodell auch geschehen zu sein, denn die Gangwerte bewegen sich deutlich außerhalb dessen, was man von einem konstruktiv untadeligen Uhrwerk wie dem Sellita SW300-1 erwarten darf. Das Messdiagramm unserer Witschi Chronoscope S1 ergab ein ernüchterndes Bild. Eine maximale Differenz von mehr als 30 Sekunden pro Tag (s/d) zwischen einer hängenden (6-Uhr-Position) und einer Flachlage (ZB unten) ist definitiv zu viel. Da muss der Uhrmacher nochmals ran, auch wenn die Witschi einen eigentlich akzeptablen durchschnittlichen Vorgang von + 4 s/d ermittelte.

An meinem Arm lief sie im Durchschnitt pro Tag sieben Sekunden ins Plus. Toll ist das nicht, aber man kommt auch sicher nicht zu spät, wie der Kollege schon betonte. Da verhielt sich die Union doch deutlich angemessener. Zwar ermittelten wir auch hier mit + 4 s/d exakt denselben durchschnittlichen Vorgang wie bei der Degussa, doch zeigt uns das Diagramm eine maximale Lagendifferenz von 4,4 s/d. Das passt. Auch an meinem Arm lief die Union vollkommen gleichmäßig, der Tragetest bestätigte den auf der Zeitwaage ermittelten Wert.

Fazit

PB: Ihren Wert schöpfen beide Uhren aus der hochwertigen Ausstattung mit Saphirgläsern, edlen Zifferblättern und Goldgehäusen. Die Degussa genießt einen gewaltigen Preisvorteil, weil sie nicht über ein Konzessionärsnetz, sondern ausschließlich übers Internet oder direkt in den Degussa-Niederlassungen vertrieben wird. So kann die berühmte Goldschmelze die Classic Automatic für knapp 4000 Euro anbieten, während die Union 1893 Kleine Sekunde im Laden fast das Doppelte kostet (7600 Euro). Irgendwie unfair. Aber so viel Aufpreis für eine Kleine Sekunde? Dieser letzte Punkt geht für mich an die Degussa, die einfach mehr fürs Geld bietet.

MH: Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Beide Uhren sprechen aus meiner Sicht unterschiedliche Zielgruppen an – und werden sie auch finden. Die Union erscheint, obwohl sie sich auf ihr Gründungsjahr 1863 beruft, moderner, während sich die Degussa deutlich konservativer gibt. Hätte Union der Uhr ein echtes Emaillezifferblatt spendiert, würde ich hier auch den Preis nicht monieren. So aber schon. Das Preis-Leistungs-Verhältnis der Degussa ist – auch wegen des Direktvertriebs – unschlagbar. Ich werde diese Marke nicht aus den Augen verlieren.

Text: Peter Braun, Martin Häußermann
Bilder: Martin Häußermann

Die interessantesten Uhren-Paare in unserer Reihe «Probezeit»:

Richard Lange Springende Sekunde vs. Jaeger-Lecoultre Geophyic Universal Time

Baume & Mercier Clifton Baumatic vs. Nomos Tangente Neomatik 41 Update

Habring2 Doppel-Felix Datum vs. Sinn 910 Jubiläum

A. Lange & Söhne Richard Lange Springende Sekunde vs. Jaeger-LeCoultre Geophysic Universal Time

Chronoswiss Flying Regulator vs. Erwin Sattler Régulateur Classica Secunda

Davosa Titanium Automatic vs. Stowa Seatime «Black Forest»

Carl F. Bucherer Patravi Scubatec vs. Ulysse Nardin Marine Diver

Bethge &amp. Söhne Nautica Diver vs. Marcello C. Nettuno 3

Damasko DC 58 Chronograph vs. Stowa 1938 Chronograph

Seiko Presage Multifunktion vs. Tissot Ballade C.O.S.C. Silizium

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