Die Uhr des Jahres 2024Wirbelwind on/off
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Für den Kenner ist das «Hinten» ebenso wichtig wie das «Vorn»: Der Blick durch den Glasboden eines Gehäuses ist für ihn so bedeutsam wie das Zifferblatt. Kommt doch der Schönheit des Uhrwerks oft die gleiche Aufmerksamkeit zugute wie dem Gesicht einer Uhr – oder sogar noch mehr.
Der Aufwand, ein Uhrwerk durch Schliffe und Dekorationen zu verschönern, erlebte im 19. Jahrhundert seine Blütezeit und war laut Callweys Uhrenlexikon vor allem bei amerikanischen Taschenuhren beliebt. Heute gilt ein durch Schliffe und Polituren verziertes Uhrwerk als Erkennungszeichen hochwertiger Mechanik, denn die Finissierungen dienen fast ausschließlich der Schönheit und Ästhetik eines Uhrwerks.
Die Handbearbeitung von Uhrwerkskomponenten wird von Marken der Haute Horlogerie geradezu zelebriert. Ob Brücken, Kloben oder Platinen, ob Schliff, Politur, Anglierung oder Gravur – der Fantasie sind bei der Verzierung der Oberfläche keine Grenzen gesetzt. Patek Philippe etwa dekoriert jedes Werk mit demselben Aufwand, selbst wenn es anschließend unter einem blickdichten Metallboden arbeitet. Und bei A. Lange & Söhne werden sogar jene Uhrwerksteile dekoriert, die unter anderen Komponenten verbaut werden und am Ende nicht mehr sichtbar sind.
Für diese Arbeiten zuständig sind jeweils im eigenen Hause ausgebildete Handwerker, denn eine Lehre für die Dekoration, das Anglieren oder das Aufbringen von Zierschliffen gibt es nicht. Bei Patek Philippe werden diese Fachkräfte schlicht «Artisans» genannt, bei A. Lange & Söhne heißen sie «Finisseure».
Ihre Arbeit benötigt Zeit: Allein auf das Finish mit all seinen Arbeitsschritten entfallen zwischen 35 und 50 Prozent der gesamten Fertigungszeit für ein Uhrwerk! Das ist kein Wunder, denn bei einer einzelnen Rückerbrücke kann das Aufbringen des Zierschliffs 20 bis 25 Minuten dauern. Das beherrschen jedoch nur versierte Handwerker, deren Kunst beinahe in Vergessenheit geraten wäre.
Während der «Quarzkrise» waren die Fertigkeiten in manchen Firmen fast verloren gegangen, sodass deren Wiedererweckung eine zeitintensive Angelegenheit war. Uhrmacher mussten sich die Anfertigung von Zierschliffen bisweilen mühsam autodidaktisch aneignen und konnten sich dabei nur von alten Büchern und historischen Vorlagen leiten lassen.
Doch heute ist die Verschönerung von Komponenten wieder eine sorgsam gepflegte Kunst, wie ein Blick in die Ateliers von Audemars Piguet, Glashütte Original und A. Lange & Söhne zeigt.
Text: Iris Wimmer-Olbort
Teil 2: Anglieren bei Audemars Piguet
Teil 3: Zierschliffe bei Glashütte Original
Teil 4: Politur und Gravur bei A. Lange & Söhne