Probezeit: Captain Cook vs. Divers Sixty-Five

Evergreens

Klassiker werden nur in den seltensten Fällen eins zu eins nachgebaut, sondern neu interpretiert. Dies beinhaltet die Vergrößerung der Uhren auf marktgängige Durchmesser zwischen 40 und 42 Millimetern, den Einsatz von aktuellen Automatikwerken sowie eine Ausstattung nach heutigem Standard, wie kratzfestes Saphirglas und hochwertige Dichtungen. So wie bei der Oris Divers Sixty-Five, die sich seit ihrer Lancierung im Jahr 2015 zu einem Bestseller entwickelt hat. Der Rado Captain Cook Automatic steht die Bewährungsprobe noch bevor, schließlich wurde sie erst Ende 2018 vorgestellt.
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Oris Divers Sixty-Five (links) und Rado Captain Cook Automatic (rechts).

Erster Eindruck

Peter Braun: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe: Sowohl Rado als auch Oris berufen sich bei ihren Taucheruhren im Vintage-Look auf Vorbilder aus den 1960er Jahren. Aber so verschieden damals die Auffassungen von einer Taucheruhr waren, so unterschiedlich fallen heute ihre Remakes aus.

Schon die gewählten grünen Farbtöne driften auseinander, in Richtung satt-cremig bei der Oris Divers Sixty-Five und in Richtung elektrisch glänzend bei der Rado Captain Cook. Bei Letzterer ist die Lünette ebenfalls grün eingefärbt, was zusammen mit dem größeren Durchmesser schon einmal einen ganz anderen Eindruck vermittelt als bei der Oris, die sich mit eher schmalem schwarzem Drehring aus Bronze (!) sehr traditionell gibt. Die Bestückung des Zifferblatts mit aufgesetzten Index-Pastillen, die wie die Stabzeiger mit elfenbeinfarbener Leuchtmasse ausgelegt sind, wirkt eher «Fifties» als Sixty-Five. Dagegen unterstreicht die Rado den Glanz ihres Zifferblatts mit wuchtigen Stundenmarkern und einem markanten pfeilförmigen Stundenzeiger, der bei professionellen Taucheruhren ja eher eine untergeordnete Rolle spielen sollte. Aber ein schnödes Werkzeug wollte schon das historische Vorbild der Captain Cook nicht sein.

Martin Häußermann: Stimmt. Unsere Probezeit zeigt, wie unterschiedlich man das Vintage-Thema interpretieren kann. Die Oris kommt – sehr sympathisch, wie ich finde – doch ein bisschen altehrwürdig daher. Die Farbe der Leuchtmasse sieht schon im Neuzustand patiniert aus, der Taucher-Drehring aus Bronze glänzt zwar jetzt noch, wird aber im Laufe längerer Tragezeit auf jeden Fall eine individuelle Patina bekommen. Da erscheint mir die Captain Cook doch deutlich frischer. Das liegt zum einen an der Größe: Mit 42 Millimetern ist sie stolze zwei Millimeter größer als die Sixty-Five, die leicht nach innen gewölbte Drehlünette, die seitlich auch noch etwas über das Gehäusemittelteil hinausragt, verstärkt den Eindruck noch. Diese Lünette trägt übrigens ein Keramik-Inlay, typisch Rado, möchte man da sagen. Es wundert schon beinahe, dass man der neuen Captain Cook nicht gleich ein ganzes Gehäuse aus der metallisch glänzenden Hightech-Keramik spendiert hat. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Doch mit dem – hier wie dort eingesetzten – Edelstahlgehäuse bleiben die Preise in bürgerlichen Regionen. 1900 Euro verlangt Oris, 120 Euro mehr stehen bei Rado zur Debatte – inklusive Edelstahlband.

 

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Krone und Bronze-Lünette der Oris

Tragegefühl, Bedienung, Ablesbarkeit

PB: Die Rado ist bemerkenswerterweise bis 200 Meter wasserdicht (20 atm) und bringt für den Einsatz im Wasser mit dem feingliedrigen Metallband die besseren Voraussetzungen mit. Dieses ist wie das wahlweise erhältliche Lederband (handschuhweich, eine Wucht!) mit einer sehr pfiffigen Faltschließe ausgestattet. Sie besteht nur aus zwei relativ kurzen Schenkeln, die sich über seitliche Entriegelungstaster voneinander lösen und aufklappen lassen. Der dadurch gewonnene Längenzuwachs würde nicht ausreichen, um die Uhr über den Handrücken zu streifen, aber einer der beiden Schließenschenkel lässt sich wie ein Teleskop auseinanderziehen, und schon klappt’s. Träger mit schmalen Handgelenken profitieren von den kompakten Abmessungen der Schließe, die weder in der Breite noch in der Höhe stark aufträgt.
Dass die Rado-Drehlünette wegen ihres Überstands sehr gut zu greifen und zu manipulieren ist, scheint mir ein positiver Nebeneffekt zu sein. Dagegen ist die Krone viel zu klein und glatt geraten, was das Einstellen von Uhrzeit oder Datum nicht gerade erleichtert.
Die Oris ist in puncto Ablesbarkeit und Bedienungsfreundlichkeit der Rado überlegen: die Krone groß und griffig, die Verschraubung auf dem Tubus lang und leichtgängig, die Lünette tadellos in Haptik, Optik und Kinematik. Die Wasserdichtheit von 10 atm (100 Meter) wäre für meine Ansprüche ausreichend, ist aber für eine Taucheruhr etwas mager. Obwohl ich das schöne braune Lederband eh nicht ins Wasser tauchen wollte: Für den Sommer würde ich ein Textilband (NATO Strap) montieren, was dank des Schnellwechselsystems mit per Riegel verschiebbarem Bandsteg (Easy-Click bzw. Easy Change genannt) am Originalband eine Sache von wenigen Minuten ist.

MH: Vielleicht liegt es daran, dass wir schon so lange zusammenarbeiten, aber viele meiner Einschätzungen liegen hier auf einer Linie mit dem Kollegen Braun. Das Band in Kombination mit der cleveren Faltschließe macht die Rado zu einem echten Hautschmeichler, der sich problemlos an- und wieder ablegen lässt. Da kommt die Oris nicht ganz mit. Es braucht eine ganze Weile, bis sich das sehr schöne, aber ein wenig störrische Band dem Handgelenk angepasst hat. Dann allerdings gibt es am Tragekomfort nichts auszusetzen.
Erfreulich, dass sich beide Hersteller zu einem einfachen, aber effektiven Band-Schnellwechselsystem entschlossen haben. Das erspart den Gang zum Uhrmacher oder wahlweise auch Kratzer, die bei misslungenen Do-it-yourself-Aktionen in den Bandhörnern zurückbleiben. Die Wasserdichtheit ist für mich in beiden Fällen vollkommen ausreichend. Bei Vintage-Uhren lege ich nicht die Ansprüche instrumenteller Taucheruhren an. Badeseetauglich sind beide, aber natürlich nicht mit diesen schönen Lederbändern. An der Griffigkeit der Rado-Krone gibt es aus meiner Sicht nichts auszusetzen – ihr Durchmesser ist zwar etwas kleiner als der der Oris, dafür ist sie länger.

 

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Die nach Meinung eines Testers etwas zu klein und glatt geratene Krone der Rado.

Technik, Ausstattung, Gang

PB: Ich bleibe dabei und halte die Rado-Krone für zu klein. Doch zum Glück muss man nur selten korrigierend eingreifen, denn das auf dem braven ETA 2824 basierende «Powermatic»-Kaliber (ETA C07.611) lief an meinem Arm sehr gut. Offenbar reicht die zum Erreichen der Gangreserve von 80 Stunden (!) heruntergetaktete Schwingfrequenz von 21.600 A/h völlig aus. Die Oris ist mit einem nur optisch personalisierten Sellita Kaliber SW200-1 ausgestattet (technisch ebenfalls auf Basis ETA 2824), das mit 28.800 A/h und knapp 40 Stunden Gangreserve den langjährigen Stand der Technik repräsentiert. Auch dieses Uhrwerk lief an meinem Arm ziemlich gut. 
Beide Uhren sind mit einem sogenannten Boxglas ausgestattet, das heißt, die äußere Oberfläche ist nicht nur sanft «bombiert», sondern richtig hoch gewölbt. Die Wölbung schafft einen großen Hohlraum über dem Zifferblatt und erlaubt das seitliche Einstrahlen von Licht zur Aufhellung des Zifferblatts. Die Oris nutzt dieses Potenzial, weil das Saphirglas weit über die Lünette hinaus aufragt, während es bei der Rado von der Drehlünette schützend umfangen wird.

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Das Uhrwerk der Oris: Kaliber 733 (Basis Sellita SW200-1)

MH: Die beiden – übrigens aufwendig zu fertigenden – Saphir-Boxgläser machen die Uhren nicht nur alltagstauglich, sondern formen ein jeweils sehr charaktervolles Gesicht. Die besondere Glasform hat in beiden Fällen einen interessanten optischen Brechungseffekt zur Folge, der die Zifferblätter gewölbt wirken lässt – was sie in Wirklichkeit beide nicht sind. Dafür trägt das Rado-Zifferblatt ein kleines bewegliches Anker-Logo unter der «12», das schon im Original auf den Automatikaufzug hinweisen soll. Eigentlich sollte der Anker immer senkrecht stehen, was er aber angesichts der geringen Unwucht nicht freiwillig tut, sondern mit ein paar Fingertippern gegen das Gehäuse ermuntert werden will.
Beide Uhren treten mit geschlossenen Stahlböden an, jener der Oris erhielt eine einfache Lasergravur, jener der Rado eine etwas aufwendigere Reliefgravur. Auf ein Sichtfenster im Boden kann man bei beiden getrost verzichten, da in beiden Fällen schmucklose, aber zuverlässige und robuste Großserienwerke eingesetzt werden. In beiden Fällen müssen Werkhalteringe den Größenunterschied von Gehäuse und Uhrwerk ausgleichen. Beide Uhrwerke sind bekannt, laufen im Regelfall ohne Fehl und Tadel und sind auch chronometerfähig.
Tatsächlich hinterließen beide Probanden auf unserer Zeitwaage Witschi Chronoscope S1 aber eher gemischte Gefühle. Zwar waren die Gangwerte hier wie da in Ordnung, doch wiesen beide Uhren markante Lagenfehler auf. Dazu kommen bei der Rado noch deutliche Abfallfehler, die in der Folge an meinem Arm zu ungleichmäßigen Gangergebnissen führten, die sich zwischen +4 und +8 Sekunden am Tag bewegten. Ein massives technisches Problem schließen wir allerdings aus. Ein versierter Uhrmacher kann dem ETA-Werk sicher Manieren beibringen. Auch die Rado würde ich persönlich nochmals nachregulieren lassen, ging sie an meinem Arm doch eine Sekunde pro Tag nach, das allerdings stabil.

 

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Das Uhrwerk der Rado: ETA Kaliber C07.611

Fazit

MH: Echt klasse, diese Uhren. Beide sind Gesichter in der Menge, die man immer wieder gern anschaut. An der Verarbeitung gibt es hier wie dort nichts auszusetzen, selbst die Drehlünetten, die bei einer Vintage-Uhr ja eher Zierde sind, laufen sanft und rasten satt. Die im Test mittelprächtigen Gangwerte sind geschenkt. Wie gesagt: Der Uhrmacher des Vertrauens reguliert das. In meiner ganz persönlichen Einschätzung liegen beide Uhren ganz dicht zusammen. Das ist schwer zu entscheiden. Für die Rado sprechen ihre moderne Interpretation des Vintage-Themas und der Mut der Marke, aus der Keramik-Nische herauszutreten. Für die Oris ihr konsequenter Klassik-Look sowie der Preisvorteil. Ich muss nachdenken.

PB: Dass ich mich letzten Endes wahrscheinlich für die Oris entscheiden würde, ist reine Geschmackssache. Vielleicht, weil sie eher meiner Vorstellung von einer Vintage-Taucheruhr entspricht: schlicht, schnörkellos, funktional. Die Rado wirkt auf mich trotz ihrer handfesten Vorteile – Wasserdichtheit, Gangreserve, Faltschließe – ein bisschen zu extravagant gestylt. Damit bleibt sie jedoch ihrem historischen Vorbild treu, was sie nicht weniger authentisch macht als die Oris. De gustibus …

 

Text: Peter Braun, Martin Häußermann
Bilder: Martin Häußermann

 


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