Präzision im luftleeren Raum

Vakuumuhren

In den 1970er Jahren stellten sich die Hersteller von mechanischen Armbanduhren der Herausforderung durch die immer populärer werdende Quarztechnik. Die einen setzten auf einfache und preiswerte Stiftankertechnik, die sie zum Teil mit modern anmutenden «digitalen» Scheibenanzeigen zu kaschieren versuchten. Die anderen hielten dem klassischen Erscheinungsbild die Treue, investierten aber in die Ganggenauigkeit. Hier hatte die Quarztechnik ihre größten Vorzüge: Während bei zeitgenössischen Automatikuhren Gangabweichungen von bis zu einer halben Minute pro Tag durchaus toleriert wurden, lag der Fehlgang einer dieser neuen Quarzuhren bei wenigen Sekunden – im Monat! Mit herkömmlicher Mechanik, d. h. Unruh und Ankerhemmung, war dagegen nichts auszurichten – oder etwa doch?

Vacuum Chronometer Corporation
Das Symbol der Halbkugeln ziert alle Uhren der Vacuum Chronometer Corporation, egal unter welchem Markenlogo sie firmieren. Auch das Zeigerspiel mit einem, zwei oder drei feinen Stäben sowie die dazu passenden Stundenmarker wurden immer verwendet.

Im luftleeren Raum

Der Techniker und Uhrenkaufmann Hans Ulrich Klingenberg war von Natur aus ein an vielen Themen interessierter Mensch und hatte sich mit der Zeit einen großen Kenntnis- und Erfahrungsschatz in diversen naturwissenschaftlichen Bereichen aneignen können. Im Jahr 1959 meldete er ein Patent auf eine Technologie an, die sein berufliches und geschäftliches Leben nachhaltig verändern sollte.

Als beschlagener Experte in Uhrenfragen erkannte er, dass es viele externe Faktoren gab, welche die korrekte Funktion eines mechanischen Uhrwerks beeinflussen konnten – nicht nur Erschütterungen und Schläge, sondern langfristig auch ins Gehäuse eindringende Feuchtigkeit und Staub. Ergo musste ein Uhrengehäuse sorgfältig gegen Umwelteinflüsse abgedichtet sein, sozusagen ein eigenes Mikroklima für das Uhrwerk schaffen.

Klingenberg war fasziniert von den Experimenten von Otto von Guericke, einem deutschen Wissenschaftler aus dem 17. Jahrhundert. Guericke entwickelte das erste System, das die Luft aus einer aus zwei Halbkugeln bestehenden Metallkugel entziehen konnte, bekannt als die «Magdeburger Halbkugeln». Er zeigte auf diese Weise die Wirkung des Luftdrucks, bewies damit die Existenz der Erdatmosphäre und widerlegte auf leicht nachvollziehbare Weise den sogenannten «horror vacui», was Blaise Pascal anno 1647 mit seinem weniger anschaulichen Experiment «Leere in der Leere» nicht so überzeugend gelungen war (siehe Kasten). Guericke legte zwei Halbkugelschalen aus Kupfer mit etwa 42 cm Durchmesser so aneinander, dass sie eine Kugel bildeten. Zwischen den Kugelschalen diente ein mit Wachs und Terpentin getränkter Lederstreifen als Dichtung. Anschließend entzog er dem so entstandenen Hohlraum mit der von ihm erfundenen Kolbenpumpe über ein Ventil die Luft. Der Luftdruck, der nun nur von außen auf die Kugel wirkte, drückte diese so stark zusammen, dass sich diese selbst mit 30 (in Regensburg zwei Gespanne mit je 15) bzw. 16 (in Magdeburg zwei Gespanne mit je acht) Pferden nicht mehr auseinanderziehen ließ. Die Halbkugeln konnten erst wieder getrennt werden, nachdem durch das Ventil wieder Umgebungsluft zurück in die Kugel gelassen worden war.

Magdeburger Halbkugeln
Otto von Guerickes Versuch, die «Magdeburger Halbkugeln» zu trennen.

Perfekter Mikrokosmos

Für den jungen Klingenberg las sich Guerickes Experiment wie eine Offenbarung, und er verbrachte Stunden mit der Erforschung dieses Themas – bezogen auf Uhren. Gegen Ende der 1950er Jahre ließ er eine Gehäusekonstruktion patentieren und führte das Experiment der Magdeburger Halbkugeln als Nachweis an. Seine Konstruktion garantierte die völlige gasdichte Abdichtung des Gehäuses und damit die totale Resistenz gegen eindringende Umgebungsluft, d. h. Feuchtigkeit und Staub, die größten Feinde jeder mechanischen Uhr. Das Gehäuse war aus einem einzigen Stück Metall ohne separaten Boden gefertigt, worauf ein präzise facettiertes Glas aufgelegt und dort durch das Vakuum «festgesaugt» wurde. Die einzige Öffnung am Kronentubus war mit drei Dichtungen verschlossen.

1966 gründete Klingenberg in Biel die Vacuum Chronometer AG zur Fertigung und zum Vertrieb seines Vakuum-Chronometers. 1967 ließ Klingenberg den Markennamen Century in der Schweiz und in einigen anderen Ländern registrieren und erwarb 1975 die weltweiten Rechte auf das Markenzeichen Century. Damit legte er den Grundstein für die Century Time AG. Beide Firmen sind heute noch aktiv.

Vakuumuhren
Eine kleine, interessante Sammlung von perfekt erhaltenen bzw. restaurierten Vakuumuhren.

Überzeugend und dauerhaft

Experimente mit Vakuumgehäusen wurden immer wieder angestellt, doch Klingenbergs System ist das einzige, das sich in nennenswerten Stückzahlen am Markt durchsetzen konnte. Armbanduhren mit diesem Gehäuse wurden nicht nur von Century angeboten, sondern auch für verschiedene andere Uhrenmarken produziert und unter deren Markennamen verkauft. So gibt es heute auf dem Sammlermarkt Vakuumuhren im typischen Gehäusedesign mit Zifferblattbeschriftungen der Marken Waltham, Movado, Dugena oder Croton.

Das Signet mit den stilisierten Magdeburger Halbkugeln hingegen war immer dasselbe, und auch die speziell gestalteten Zeiger aus einem, zwei bzw. drei schmalen Stäben wurden überall verwendet.

Als Uhrwerk verwendete Klingenberg ein modifiziertes ETA Kaliber 2836 mit automatischem Aufzug, das Anfang der 1960er Jahre den Stand der Schweizer Uhrentechnik repräsentierte. Das Hemmungssystem war samt Unruh und Spirale auf eine Schwingfrequenz von 36.000 A/h (5 Hertz) umgebaut und mit neu gefertigten Teilen bestückt. Versuche hatten ergeben, dass die Auswirkungen des veränderten Umgebungsluftdrucks geringer ausfielen, wenn die Unruh schneller schwingt. Bei der Montage wurden die Uhrwerke auf der Zeitwaage ins Plus reguliert (plus 12 Sekunden). Nach dem Einschalen und Absaugen der Luft aus dem Gehäuse nivellierte sich der Vorgang, und die Uhren liefen am Arm mit der Genauigkeit eines Chronometers.

Dank der guten Abdichtung gegen Feuchtigkeit verlängerten sich die Service-Intervalle deutlich, und wenn eine Uhr nach über 50 Jahren bei Century Time AG zur Überholung eingereicht wird, saugt das Gehäuse nach dem Ziehen der Reißkrone meist noch vernehmlich Luft an: Das Vakuum hat die ganze Zeit gehalten.

Uhren, die heute im Internet oder auf Sammlerbörsen angeboten werden, haben aufgrund unsachgemäßer Versuche, das Gehäuse zu öffnen, oft beschädigte Gläser. Diese lassen sich aber nicht mit normalem Werkzeug abheben: Das Vakuum im Inneren des Gehäuses hält das an seiner Dichtfläche fein geschliffene, am Rand facettierte Mineralglas ebenso fest wie die Magdeburger Halbkugeln.

Text: Branko Radovinovic

Bilder: Martin Häußermann, Century Time AG

Philip W. A. Klingenberg

Fünf Fragen an …

Philip Klingenberg,
CEO Century Time Gems

Herr Klingenberg, wie sind Ihre Unternehmen und Marken organisiert?

Das Unternehmen Century Time Gems Ltd. unterhält die Marken Century und Vacuum Chronometer und produziert auch Uhren im Private-Label-Bereich.

Warum haben Sie die Produktion der Vakuumuhren eingestellt?

Wir haben ein neues System namens «Megalith» entwickelt, das es erlaubt, zwei Saphirgläser untrennbar zu einem Uhrengehäuse zu verschmelzen. Diese neue Technologie wurde Zug um Zug bei verschiedenen Modellen eingeführt, die heute zu den Ikonen der Marke Century zählen, zum Beispiel die achteckigen Armbanduhren, die wir ab 1987 produziert haben. Die Entwicklung kam zu einer Zeit, in der das Interesse an der Monobloc-Konstruktion der Vakuumuhren abzunehmen begann.

Wurden die auf diesen Seiten portraitierten Uhren der Marken Waltham, Croton und Dugena Genève auch von Ihnen, d. h. der Firma Vacuum Chronometer Corporation AG, hergestellt?

In der Tat. Außerdem haben wir dasselbe Baumuster auch für andere Marken produziert, wie bspw. Longines, Fortis oder Glycine.

Wie waren die Vakuumuhren in ihrer Zeit preislich positioniert?

Aufgrund der Vielzahl von Modellen und Marken gab es eine sehr breite Preisspanne, die von ungefähr 1000 Schweizer Franken bis weit über 300.000 Schweizer Franken reichte. Die Gehäuse waren zum Teil aus Schwermetall gefertigt, aus Edelstahl oder komplett aus Saphir. Dazu gab es verschiedene Uhrwerke, auch Quarz, sowie unterschiedlich ausgestattete Schmuckmodelle.

Wie viele Vakuumuhren wurden in den 1960er bis 1980er Jahren produziert?

Das waren mehrere Hunderttausend Uhren, verteilt auf die verschiedenen Marken.

Herr Klingenberg, vielen Dank für die Auskünfte!

(Das Gespräch führte Peter Braun)

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