220 Jahre Tourbillon

Ausgleichende Genauigkeit

Ein Uhrmacher ist dem obersten Ziel der Uhrmacherei verschrieben: der Konstruktion von möglichst präzisen Zeitmessern. So auch Abraham-Louis Breguet, der die Schwerkraft herausforderte und 1801 das Tourbillon patentieren ließ. Die komplexe Hemmung gilt seither als Symbol für die Haute Horlogerie.
Die Breguet Nr. 1176 ist das vierte von geschätzten 35 Tourbillons, die Abraham-Louis Breguet selbst angefertigt hat. Das schöne Stück von 1809 mit Chronometerhemmung (échappement naturel) wurde 2014 vom Breguet-Präsidenten Marc A. Hayek persönlich für das Firmenmuseum ersteigert.
Das Zifferblatt der Breguet Taschenuhr Nr. 1176.

Die Geschichte des Tourbillons beginnt bei ihrem Erfinder, dem genialen Uhrmacher Abraham-Louis Breguet (*10. Januar 1747, Neuchâtel, Schweiz). Er lernte das Uhrmacherhandwerk in seinem Geburtsort und später Versailles, studierte Mathematik in Paris und eröffnete 1775 sein eigenes Geschäft am französischen Königshof. Er war ein geschätzter Gast bei den Herrschern Europas und schuf, während er und seine Kollegen sich überwiegend mit Chronometern für die Marine beschäftigten, auch die schillerndsten und feinsten Taschenuhren für den Hochadel.

Eine Tatsache, die Breguet in der 1789 beginnenden französischen Revolution zum potenziellen Opfer der Guillotine machte. Anfangs schien der Uhrmacher sich darüber kaum Sorgen zu machen, denn noch im August 1793 lieferte er eine Uhr an die inhaftierte Königin Marie-Antoinette, die zwei Monate darauf hingerichtet wurde. Dann floh er aber doch noch in seine Heimat und eröffnete eine Werkstatt in Le Locle im Schweizer Jura. In diesem Exil entwickelte er zahlreiche Techniken und Komplikationen, für die er noch heute als einer der wichtigsten Vertreter seiner Zunft angesehen wird.

Breguet Nr. 1188 von 1808 mit 4-Minuten-Tourbillon, ausgestattet mit échappement naturel.
Das Emailleblatt der Nr. 1188 mit türkischen Ziffern wurde 1841 nachgerüstet.
Auch der Staubdeckel der Nr. 1188 ist fein verziert.

DIE PROBLEMATIK

Schließlich war auch er dem obersten Ziel der Uhrmacherei, der Herstellung einer möglichst genauen Uhr, verpflichtet. Der Mathematiker wusste, welche physikalischen Gegebenheiten störende Auswirkungen auf den Mechanismus haben können. Bei der Kombination aus Unruh und Spiralfeder, die genau 100 Jahre vor Eröffnung von Breguets Geschäft von Christiaan Huygens erfunden worden war, sind das neben extremen Einwirkungen wie Stößen und Erschütterungen auch Luftwiderstand, Temperaturveränderungen und vor allem Reibungseffekte, die an den Zapfen (Endstücke der Achse) der Unruh auftreten.

Für alle Einwirkungen auf die Unruh jedoch gilt, dass sie den Gang der Uhr nicht beeinflussen, wenn sie gleichmäßig auftreten. Für die Genauigkeit ist vorrangig wichtig, dass die Unruh gleichmäßig (isochron) schwingt.

Seine Erkenntnisse konnte er umsetzen, als er 1795 zurück nach Paris ging und anhand genauer Berechnungen eine speziell gebogene Unruhfeder erfand, bei welcher der letzte Spiralgang derselben besonders über die restlichen Windungen zurückgeführt wird. Die später als Breguet-Spirale bekannte Form sorgt für eine gleichmäßigere Ausdehnung der Feder in alle Richtungen und wird auch heute noch in Kalibern verschiedenster Hersteller verbaut.

Breguet Nr. 2567 mit Minutentourbillon von 1812, ausgeführt als Savonnette mit guillochiertem Silber-Zifferblatt.
Das Uhrwerk der Taschenuhr Nr. 2567 gilt nach Breguet-Maßstäben als «einfache Ausführung» ohne Verzierungen oder besondere technische Ausstattungsdetails – mit Ausnahme des Drehgestells natürlich.

IM DURCHSCHNITT GENAUER

Bedingt durch die Fertigungstechniken und Materialien zu Breguets Zeiten war es jedoch bei allem Fleiß kaum möglich, perfekte Teile zu fertigen. Es kam unweigerlich zu Unregelmäßigkeiten, die den Schwerpunkt der Unruh beeinflussten und so die Gleichmäßigkeit ihrer Schwingungen störten. Durch die Auswirkungen der Schwerkraft wird dieser Effekt weiter verstärkt, und Breguet suchte nach einer Lösung, um die Ganggenauigkeit der damals üblichen Taschenuhren, die meist senkrecht in den Westentaschen ihrer Träger «standen», zu verbessern. 1801 wurde seine Idee zum «Régulateur à Tourbillon» patentiert.

Die Idee hinter dem Tourbillon (frz. Strudel, Wirbel) fußt auf der Annahme, dass nur Gangfehler, die zufällig auftreten, ein Problem für die Präzision der Uhr sind, denn sie können nicht kompensiert werden. Darum konstruierte Breguet die Hemmungsgruppe innerhalb eines zusätzlichen «Käfigs», der sich inklusive Anker und Unruh permanent um seine eigene Achse dreht.

Nach einer kompletten Umdrehung des Tourbillonkäfigs war jede Seite der Konstruktion einmal «unten», und eventuelle durch Gravitation, Reibung und Unruhspirale bedingte Fehler traten in jeder der 60 Positionen (Minutentourbillon) einmal auf. Damit waren diese zwar nicht behoben, aber weil sie in jeder Position aufgetreten sind, hatten sie im Durchschnitt (!) kaum Auswirkung auf die Ganggenauigkeit der Uhr.

DIE GEGENWART

Breguet Marine Grande Complication 5887 mit Tourbillon, ewigem Kalender und Äquationsanzeige.
Breguet Tradition 7047 mit Zugkraftregulierung über Kette und Schnecke. Die Konstruktion der Armbanduhren aus der Linie Tradition folgt klassischen Mustern von Breguet-Taschenuhren.

Neue Fertigungsmethoden wie Drahterosion und CNC-Fräsen sowie synthetische Schmierstoffe und neue oder reinere Materialien machen es heute möglich, (fast) perfekte feinmechanische Teile herzustellen. Schwerpunkt- und Materialfehler, die im späten 18. Jahrhundert die Uhrmacher um den Verstand brachten, sind dadurch nicht mehr so gravierend. Außerdem werden die Uhren heute nicht mehr in der Westentasche, sondern am Handgelenk getragen – auch das angeblich eine Erfindung von Abraham-Louis Breguet um das Jahr 1810 – und sind damit häufigen Lagenveränderungen ausgesetzt.

Die schlichtere Breguet Classique Tourbillon Exta Plat Referenz: 5367BR.

Durch Unruhen ohne große Schwerpunkt- und Reibungsprobleme sowie durch die ständigen Lagenveränderungen kann das Tourbillon kaum noch seinen eigentlichen Zweck erfüllen. Dennoch wurden Tourbillons seit den 1980er Jahren um ein Vielfaches mehr als in den fast zwei Jahrhunderten zuvor gebaut. Nach dem knapp abgewendeten Niedergang der mechanischen Uhrmacherei durch die Quarzuhr ging es den Menschen wieder um die Mechanik, und das Tourbillon bietet ein wahrlich beeindruckendes Schauspiel!

So führen (fast) alle Uhrenmanufakturen, die sich der «Haute Horlogerie» verschrieben haben, das eine oder andere Modell mit der komplizierten Hemmung im Programm. Das Tourbillon ist eine beliebte Präsentationsfläche der feinmechanischen Fähigkeiten – natürlich auch in der aktuellen Kollektion von Breguet.

AKTUELLE MODELLE

Mit zwei auf einem Karussell umlaufenden Tourbillons, die gleichzeitig der Zeitanzeige dienen, markiert die Referenz 5345 «Quai de l’Horloge» einen Superlativ der Uhrmacherei.
Das komplizierte «Zifferblatt» der Referenz 5345 im Detail.

Ein weiterer entscheidender Faktor bei der Ganggenauigkeit einer Uhr ist die Federkraft beziehungsweise das an die Hemmungsgruppe abgegebene Drehmoment. Beim Modell Tradition 7047PT wird die Energie des Federhauses mit Handaufzug über Kette und Schnecke übertragen. Durch die spiralförmige Form der Schnecke ändert sich das Untersetzungsverhältnis bei sinkender Spannkraft der Feder. In der Folge wird die Kette – wie bei einer Fahrrad-Gangschaltung – schneller abgewickelt. Auf das Hemmrad und damit auf das Tourbillon wirkt deswegen stets eine konstante Kraft. Die handwerkliche Leistung beziffert Breguet mit 183.200 Euro bei einem Gehäuse in Platin.

Beim Modell Extra-Plat Squelette 5395 kommt mit dem Kaliber 581SQ ein Automatikwerk zum Einsatz, bei dem ein nabenlos an seinem Umfang gelagerter Platinrotor für die Energieversorgung zuständig ist. Er verdeckt deshalb zu keiner Zeit das meisterhaft verzierte Guilloché-Uhrwerk. Auf der Vorderseite erfüllt ein Ring aus Saphirglas mit römischen Ziffern den Zweck eines Zifferblatts, und das Tourbillon übernimmt die Aufgabe des Sekundenzeigers. Bei der besonders schlanken Höhe von 7,7 mm kommt die Version im Gehäuse in Roségold auf 217.400 Euro.

Ein Zifferblattring aus Saphirglas und ein peripher gelagerter Rotor ermöglichen bei der Ref. 5395 von beiden Seiten freie Sicht auf das beeindruckende Breguet Kaliber 581SQ.
Das Tourbillon des Kaliber 581SQ im Detail.

Richtig kompliziert wird es bei der Marine Grande Complication 5887, die das Tourbillon, die Zeitanzeige und einen ewigen Kalender mit einem zweiten Minutenzeiger kombiniert, der die Zeitgleichung (Äquation) anzeigt, den Unterschied zwischen der standardisierten Uhrzeit und der «wahren» Sonnenzeit. Das Kaliber 581DPE ist verwandt mit dem der Referenz 5395 und mit demselben dezentral gelagerten Rotorsystem ausgestattet. Die neueste Version in Roségold kommt auf einen Preis von 207.600 Euro.

Zum Preis der drei zuvor gezeigten Uhren mit Tourbillon (ca. 650.000 Euro) gibt es bei Breguet mit der Referenz 5345 eine Platinuhr, die zwei Tourbillons in einem Gehäuse vereint. Benannt nach dem Pariser Viertel «Quai de l’Horloge» ist dieses Mitglied der Kollektion Classique auf der Rückseite mit der historischen Fassade des Geschäfts von Abraham-Louis Breguet verziert. Die beiden unabhängigen Hemmungssysteme sind über ein Differenzial miteinander verbunden, das den Durchschnitt beider Zeitgeber an die Zeiger weitergibt. Sie sitzen zusätzlich auf einer Karussell-Konstruktion, die in zwölf Stunden eine komplette Drehung absolviert.

Text: Tobias Schaefer

Lesen Sie hier mehr über das Tourbillon


Historie: Abraham-Louis Breguets Brief an den Innenminister

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