Armbandwecker: Vulcain Cricket 401 Calendar

Einsteiger-Grille

Gerade das fehlende Datum wurde von einigen Kunden an der normalen Cricket häufig bemängelt. Um für diese Kunden eine Abhilfe zu schaffen, entschied sich Robert Ditisheim, technischer Direktor der Vulcain & Studio S.A. in La Chaux-de-Fonds und Vater der Cricket, ein zweites, in der technischen Hierarchie unterhalb der Cricket angeordnetes Weckerkaliber für eine Herrenarmbanduhr zu konstruieren. Um den nötigen Respektabstand zum Cricket-Kaliber 120 zu wahren, entschied er sich für eine Lösung mit nur einem Federhaus. Bei dieser «Sparlösung» (schließlich war Ditisheim auch gehalten, eine möglichst preisgünstige Konstruktion zu realisieren) beziehen sowohl das Uhrwerk als auch der Weckermechanismus ihre Energie von einer einzigen Zugfeder. Dennoch besitzt diese Feder genügend Energie, um neben einer ausreichenden Gangreserve auch eine Weckdauer von 12 Sekunden bereitzustellen.

von Michael Philip Horlbeck mit Fotos von Arne Psille

Obwohl das 401 für die Verwendung in preiswerten Uhren gedacht war, musste es dennoch nicht auf einige Besonderheiten verzichten, die für die sprichwörtliche Qualität der Cricket mit verantwortlich waren. So wurde auch beim 401 darauf geachtet, dass der Weckerhammer über genügend Masse verfügte, um eine ausreichende Lautstärke zu erzeugen. Zwar ist eine Cricket Calendar leiser als eine Cricket mit dem Kaliber 120, im Vergleich mit Armbandweckern anderer Hersteller ist ihre Lautstärke aber dennoch beachtlich.
Entscheidend für die Präzision des Cricket-Kalibers war die von der Vulcain entwickelte und bei allen Weckerkalibern von Vulcain verwendete «Exactomatic». Die Exactomatic war eine spezielle Lagerung der Unruh, die Isochronismusfehler vermeiden und eine in allen Lagen gleich große Amplitude (Schwingung) sicherstellen sollte. Um dies zu erreichen, waren die Stirnseiten der Unruhzapfen plan geschliffen statt halbrund bzw. ballig geformt. Durch die Verwendung eines schrägen, d.h. gegenüber der Längsachse leicht geneigt eingebauten Decksteins lag der Unruhwellenzapfen immer gleichzeitig am Deckstein und an der Wand des Lagersteines an. Diese Kontaktflächen veränderten sich auch in den verschiedenen Lagen der Uhr nicht, sodass die Reibung stets gleich blieb und folglich auch die Schwingungsweite konstant blieb.
Das ist jedoch nicht die einzige Besonderheit des Kalibers 401. Bei Weckerwerken mit nur einem Federhaus wird die für den Wecker notwendige Energie normalerweise durch eine gesteuerte Drehung des Federkerns an den Weckermechanismus abgegeben. Da dies effektiv der Umkehr des Aufzieh-Vorgangs entspricht, dreht sich bei den meisten dieser Kaliber beim Klingeln die Aufzugskrone mit. Dieses durch die Räder des Aufzugs bedingte Mitlaufen der Krone ließ sich aber durch ein paar Kunstgriffe unterbinden. Robert Ditisheim konstruierte den Aufzugsmechanismus so, dass das Kronrad bei Klingeln aus dem sich drehenden Sperrrad (sitzt direkt auf dem Federhaus) ausschwenken kann. Auch diese eleganten Lösung lässt die geistige Nähe des Kalibers 401 zur «großen Cricket» erkennen.

Vom Publikum nur zögerlich angenommen und deshalb nur kurze Zeit produziert: Vulcain Cricket Calendar mit Vulcain Kaliber 401. Bei Sammlern gilt das Modell heute deshalb als besondere Trouvaille. Die Konstruktion des Vulcain Kaliber 401 weist vor allem im Räderwerk des Aufzugsmechanismus’ verschiedene Besonderheiten auf, die es bei der Bedienung zu berücksichtigen gilt.


Kleine Variationen

Auch wenn das Datum die entscheidende Vorgabe zur Entwicklung des 401 war, wurden auch einige Uhren mit diesem Kaliber ohne eine Datumsanzeige gebaut. Diese Kaliber waren dennoch nicht flacher als jene mit Datumsanzeige, da lediglich der Datumsring und die zu seinem Antrieb notwendigen Zahnräder weggelassen wurden.
Neben den unter dem Namen Vulcain verkauften Uhren mit dem Kaliber 401 kamen auch einige andere Firmen in den Genuss dieses Kalibers, allen voran natürlich die Tochtermarke von Vulcain, Studio. Die Studio mit dem Kaliber 401 verzichtet jedoch auf das Datum. Neben Studio erhielt auch die amerikanische Firma Waltham das Vulcain Kaliber 401, hier wiederum mit Datumsanzeige. Bei den Gehäusen dieser für Dritte gefertigten Uhren gab es keinerlei Unterschiede zu den original Vulcain-Uhren. Es liegt die Vermutung nahe, das alle Uhren mit dem Kaliber 401 direkt bei Vulcain in La Chaux-de-Fonds entstanden sind.
Optisch unterscheiden sich die «kleinen» Crickets vor allem durch ihre kleine Sekunde von anderen Armbandweckern. Während bei den beiden 401 ohne Datum die kleine Sekunde dadurch betont wird, dass ihr Hilfszifferblatt etwas tiefer liegt und in 5-Minuten-Schritten unterteilt ist, wurde bei den Vulcain-Versionen mit Datum nur ein Kreuz aufgedruckt, das die Positionen 3, 6, 9 und 12 markiert. Der Zweck dieses Kreuzes war, das Zifferblatt übersichtlich zu halten, und dem Träger ein leichtes Ablesen sowohl der Uhrzeit als auch der eingestellten Weckzeit zu ermöglichen.
Bei der vergoldeten Cricket 401 mit Datum wurde das originale Glas gegen ein neues mit einer Datumslupe ausgetauscht. Leider stimmt die Position der Lupe nicht mit der Position des Datums überein, was auch beim Ablesen der Uhrzeit irritiert.

Leider Umständlich: Die Bedienung

Gerade vor dem Hintergrund der kinderleichten und geradezu narrensicheren Bedienung der Ur-Cricket erscheint die Handhabung des Kalibers 401 auf den ersten Blick ziemlich kompliziert. Obwohl auch die Bedienung des 401 logischen Überlegungen folgt, ist es nämlich durchaus möglich, beim Einstellen der Weckzeit die Aktivierung des Weckers zu vergessen.
Bedient wird die 401 über eine Krone bei der «2» und einen Drücker bei der «4». Da die 401 nur über eine Zugfeder verfügt, wird die Uhr durch Drehen der Krone in Richtung 12 aufgezogen, dabei springt der Drücker jedoch in die erste Raststellung heraus. Durch Ziehen der Krone lässt sich die Uhrzeit dann in beide Richtungen einstellen.
Will man hingegen die Weckzeit einstellen, muss der Drücker bei der «4» wieder hineingedrückt werden. Dies kann sowohl bei anliegender als auch bei gezogener Krone geschehen. Zum Einstellen der Weckzeit muss die Krone dann allerdings gezogen sein. Dann lässt sich die Weckzeit entgegen dem Uhrzeigersinn einstellen. Doch Vorsicht: Nach dem Hineindrücken der Krone ist der Wecker noch nicht aktiviert! Die Krone muss erst um ca. eine Vierteldrehung verdreht (Drehrichtung «Aufziehen») werden, damit der Drücker wieder in die erste Rastposition herausspringt. Erst danach ist der Wecker «scharf». Zum Abschalten des Weckers genügt immerhin ein kurzer Druck auf den Drücker … Die komplizierte Bedienung der 401 beruht auf der grundsätzlich sinnvollen Überlegung, beim Einstellen der Weckzeit keine Energie durch das zufällige Auslösen des Weckers zu verschwenden. Daher steuerte Ditisheim die Funktion so, dass zuerst der Wecker abgeschaltet werden musste, bevor die Weckzeit eingestellt werden konnte.
Diese Überlegung wird beim 401 leider dadurch ad absurdum geführt, dass die Krone nur über zwei Positionen verfügt. Um die Uhrzeit einstellen zu können, muss der Wecker aktiviert werden, bevor die Krone gezogen wird. Wird nun die Uhrzeit eingestellt und der Stundenzeiger streicht über den Weckerzeiger, fängt die Uhr an zu klingeln …
In der Praxis kann dieses Problem getrost vernachlässigt werden, da eine gut regulierte 401 so genau läuft, dass ein Nachstellen der Uhrzeit bestenfalls einmal in der Woche erfolgen muss.

Die Vulcain-Tochtermarke «Studio» verbaute das Kaliber 401 ohne Datumsanzeige als preiswerte Alternative zur normalen «Cricket». Auch der Resonanzboden der «Studio»-Versionen ist einfacher gehalten als bei den entsprechenden Vulcain-Modellen.


Wissenswertes über die Grille

Das für eine Cricket typische, sehr laute Weckergeräusch, erschallt durch einen doppelten Membranboden, der sein Vorbild in der Natur hat: Die Grille (engl. «cricket») stand bei der Gestaltung des Bodens Pate. Über eine dünne, harte Membran ist ein zweiter Gehäuseboden mit Löchern aufgesetzt. Dieser «doppelte Boden» erfüllt zwei Funktionen. Zum einen sorgt er dafür, dass der vom Weckerhammer angeschlagene Membranboden frei schwingen kann, und zum anderen dient der kleine Hohlraum zwischen Membran und Boden als Resonanzkammer.
Dieser Resonanzboden ist bei den verschiedenen hier gezeigten Uhren unterschiedlich aufgebaut. Sowohl bei der vergoldeten Vulcain 401 ohne Datumsanzeige als auch bei der Studio Alarm in Stahl wurde der dünne Resonanzboden direkt über das Werk gesteckt. Der zweite Boden verschließt das Gehäuse auf der Höhe der Aufzugswelle und hält gleichzeitig das Werk mit dem aufgesteckten Resonanzboden im Gehäuseoberteil fest. Diese Uhren sind auf Grund ihrer Konstruktion nur bedingt gegen Wasser geschützt.
Die Gehäuse der Cricket Calendar mit Datum in Stahl und der Cricket Calendar mit Datum in vergoldeter Ausführung wirken nicht nur moderner, auch ihre Resonanzböden sind anders aufgebaut. Bei beiden Uhren sind die Membran und der darüber liegende Schallboden fest miteinander verbunden. Das Werk ist nicht durch den Boden in Gehäuse fixiert, denn der Boden dient lediglich dem hermetischen Verschließen gegen eindringenden Schmutz und Feuchtigkeit. Durch diese Lösung war es auch möglich, das Gehäuse wasserdicht zu machen. Somit sind diese Uhren auch heute noch alltagstauglich.
Es mag wie eine Ironie des Schicksals klingen, dass gerade bei der anvisierten Käuferschicht die Uhr auf wenig Gegenliebe stieß. Anders als von den Händlern erwartet, konnte die Cricket Calendar an den Erfolg der Ur-Cricket nicht anknüpfen. Ein Grund war sicherlich die umständliche Bedienung des Weckers, aber diese Schrulle macht die Calendar aus heutiger Sicht zu einer interessanten Sammleruhr, wenn auch von bedingter Alltagstauglichkeit. Gerade durch ihre untypische kleine Sekunde hebt sie sich angenehm aus der Masse der Armbandwecker hervor. Und die Lautstärke ihres Weckgeräusches ist zur Erinnerung an die täglichen Termine allemal ausreichend.

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