Uhrenhandel 2.0

So kauft man heute Uhren

Goldene Zeiten für Uhrenfreunde: Die über die letzten Jahre signifikant gesteigerten Produktionskapazitäten der Uhrenhersteller sorgen für volle Lager, und die permanente Marktüberflutung mit neuen Modellen und Kollektionen setzt nicht nur die Käufer, sondern vor allem die Verkäufer unter Druck. Die Ware muss weg, koste es, was es wolle! Großzügige Rabatte sind an der Tagesordnung – und hier sprechen wir noch nicht einmal vom Abverkauf der Vorsaisonware über diverse Internet-Shoppingportale. Sondern von neuen Uhren.


Wenige Gewinner, viele Verlierer

Freunde gepflegter Uhrenmechanik von Rolex und Patek Philippe werden an dieser Stelle etwas gequält lächeln, denn der Uhrenmarkt hat seine eigenen Gesetze. Zum Beispiel, dass Uhren mit Krone oder Calatrava-Kreuz mit Edelstahlgehäusen ganz besonders begehrenswerte Luxusgüter sind. Ergo sind sie von der Rabattschlacht ausgenommen, wie übrigens auch einige streng limitierte oder auch nur schwer zu ergatternde Modelle von einer Handvoll edler Manufakturen. «Gute Beziehungen» allein reichen da schon lange nicht mehr aus: Wer keine Zeit hat, muss einen Aufschlag bezahlen.
Aber das Gesagte gilt nur für einen winzig kleinen Prozentsatz des Uhrenangebots, das unseren Schätzungen nach einige Zehntausend Referenzen umfasst – nur bei den hochwertigen mechanischen Armbanduhren von renommierten Marken, wohlgemerkt! Die wollen selbstverständlich alle an den Mann bzw. die Frau gebracht werden, doch wie soll man da überhaupt noch den Überblick behalten?


Begehrlichkeit wecken

Die Digitalisierung der Medien hat das Bewusstsein der Öffentlichkeit verändert und für eine explodierende Informationsfülle gesorgt. Auf den Homepages der Uhrenhersteller, bei Twitter, Facebook & Co. sowie natürlich auch über Internetmagazine wie www.armbanduhren-online.de und deren Newsletter-Dienste machen Nachrichten über neue Modelle in Windeseile die Runde. Die Verbreitung von (leider allzu oft recht oberflächlichen) Informationen ist folglich nicht das Problem. Dagegen wird die Verfügbarkeit der Uhren mehr und mehr zum Schlüssel für den Erfolg.
Der niedergelassene Konzessionär muss sich seit Jahren gegen die immer dreisteren Forderungen der großen Uhrenmarken nach mehr Schaufensterfläche zur Wehr setzen und wird zwischen den oft unvereinbaren Interessen der Konkurrenten förmlich zerrieben. Dem Kunden mag die Markenvielfalt eines klassischen Fachhändlers gefallen, schließlich ist der direkte Vergleich verschiedener Uhren interessant und inspirierend zugleich. Die meisten Uhrenmarken sehen das naturgemäß jedoch etwas anders: Sie wollen den Kunden in ihr eigenes Universum locken und dort behalten.
Viele Hersteller reagieren auf die Beschränkung der Präsentationsfläche mit der Eröffnung eigener Boutiquen und «Flagship Stores», in denen sie die gesamte Bandbreite ihres Modellangebots zeigen können. Ob die ortsansässigen Konzessionäre über die Boutique in der Nachbarschaft immer so glücklich sind, wie die Uhrenmarken beteuern, sei dahingestellt. Dagegen spricht, dass der Konzessionär vor Ort oft als Franchise-Partner für die Markenboutique ins Boot geholt wird.

Corum-Boutique in Beijing
Neue Corum-Boutique in Beijing


Sichtbarkeit schaffen

Für einen expandierenden Hersteller hat der stationäre Uhrenhandel in der City den Nachteil der stark beschränkten Reichweite. Oder anders ausgedrückt: Das Internet als Vertriebsplattform lockt mit einer weltweiten Sichtbarkeit, und bei einer direkten Bespielung des Online-Shops durch den Hersteller fließt überdies der ganze Profit in seine eigene Tasche. Mit dem Geld lässt sich durchaus ein professionell strukturierter und organisierter Online-Handel finanzieren.
Die Konzessionäre haben dabei das Nachsehen, denn es ist schließlich ihre Handelsspanne, die sich die Uhrenmarke da einverleibt. Früher haben Konzessionärsverträge den Direktvertrieb durch den Hersteller explizit unterbunden. Heute gibt es bestenfalls eine kleine Kompensation für das entgangene Geschäft. Und wenn man eine umsatzstarke, publikumswirksame Marke nicht komplett verlieren will, hält man besser den Mund.
Als «Anprobestudio» sind die Fachhändler in den besten Lagen der Innenstädte für die meisten Uhrenmarken zum Glück nach wie vor unverzichtbar. Nicht alle Modelle sind nämlich so gut kommuniziert und begehrt, dass sie sich ohne vorherige Inaugenscheinnahme quasi «von allein» verkaufen. Und die Marken tun gut daran, die Information und Beratung über ihre Produkte nicht den Freunden oder Arbeitskollegen eines Kaufinteressenten zu überlassen.

Und was ist mit Prozenten?

Die Preise von Internetangeboten, ob im Direktvertrieb oder über eine Plattform, sind völlig transparent und von jedermann einzusehen. Auf den von den Marken selbst betriebenen Seiten verbieten sich Rabattangebote von selbst. Hier lockt mancher Hersteller dafür mit exklusiven oder limitierten Modellen, die ausschließlich im Online-Shop oder in der Markenboutique angeboten werden. Da spielt der Preis dann auch keine Rolle mehr.
Dem Fachhandel fällt die undankbare Rolle eines Basars zu, auf dem offenbar nach Herzenslust gehandelt werden darf. Und im Zeitalter der Handys ist auch rasch ein einschlägiges – billiges – Angebot aus dem Internet aufgerufen, um den Forderungen nach Rabatt Nachdruck zu verleihen.
Uhren lieber zum Listenpreis in der Anonymität des Online-Handels statt nach einer persönlichen Vorlage (und Rabatt-Diskussion) bei einem Fachhändler in der Innenstadt kaufen – das klingt nach Menschenscheu oder Psychose. Dabei sprechen die steigenden Umsatzzahlen der Internetverkäufe eine ganz andere Sprache. Offenbar pflegen junge Menschen grundsätzlich ein anderes Einkaufsverhalten als die Vertreter der Wirtschaftswunder-Generation, wie uns auch Philipp Man, der Geschäftsführer von CHRONEXT, im Interview («Der Kunde weiß, was er will») bestätigte. Für Ulrich W. Herzog, den Verwaltungsratspräsidenten der Uhrenmarke Oris, ist Fairness den Handelspartnern gegenüber das oberste Gebot. Seine Marke bespielt sämtliche Vertriebskanäle von der eigenen Boutique über den Online-Shop bis hin zum etablierten Konzessionär und bemüht sich um Transparenz («Alles eine Frage des Vertrauens»). Und Lothar Schmidt, Inhaber der Frankfurter Spezialuhrenmarke Sinn, beweist seit Jahrzehnten, dass neben Versandhandel und Werksverkauf durchaus Platz für ein Fachhändlernetz bleibt («Wir holen den Kunden zu uns herein»), solange man sich auf einen – den deutschen – Markt konzentriert.
Dass Sinn-Uhren seit Kurzem nun auch bei CHRONEXT im Internet erhältlich sind, zeigt, dass die Frankfurter auch am internationalen Geschäft interessiert sind. Und hier geht ohnehin nichts mehr ohne «Omnichannel».

 

Thilo Mühle, Inhaber von Mühle-Glashütte
Thilo Mühle, Inhaber von Mühle-Glashütte

«Für uns ist der Fachhändler der Maßstab»

Das Familienunternehmen Mühle-Glashütte wird auch 2019 an der noch immer führenden Messe der Uhrenbranche BASELWORLD teilnehmen. Die Messeleitung steht seit dem Verlust ihres größten Ausstellers (Swatch Group) unter starkem Druck, das Konzept der Messe zu verändern. Thilo Mühle sieht in der Krise dieser wichtigen Fachmesse eine Chance: «Wir gehen davon aus, dass sich der Fokus jetzt stärker auf individuelle Aussteller richtet. In derselben Weise, wie sich die Branche auf neue Vertriebswege einstellt, ohne die bisherigen Händlerstrukturen aufzugeben, wird sich auch die Messe weiterentwickeln müssen, um zukunftsfähig aufgestellt zu sein. Die Fachhändler sind nach wie vor unsere wichtigsten Vertriebspartner, und Basel ist zentraler Treffpunkt für Hersteller und Händler.» Der Fachhandel ist allerdings nicht der einzige Vertriebskanal. Schon vor einiger Zeit ist Mühle bspw. Kooperationen mit dem Zeit-Shop oder der Lufthansa eingegangen. «Dies sehen wir vor allem als gute Werbemöglichkeit für unsere Marke, allerdings wird hier auch eine größere Zahl von Mühle-Uhren verkauft», erklärt Thilo Mühle. «Letztlich möchten wir vor allem den Wünschen unserer Kunden gerecht werden und ihnen nicht nur einen Weg anbieten. Da der Online-Bereich immer bedeutender wird, wollen wir hier Uhreninteressierten, Fachhändlern und uns selbst eine Plattform bereitstellen. Wir werden daher an einer Online-Lösung arbeiten, die sich nicht ausschließlich an den Fachhandel richten kann.» Mühle-Glashütte feiert im Jahr 2019 gleich zwei Jahrestage: das 150. Jubiläum der Unternehmensgründung durch Robert Mühle und als Hersteller hochwertiger Armbanduhren gleichzeitig auch 25 Jahre Nautische Instrumente Mühle-Glashütte.

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