Probezeit: Frederique Constant Monolithic vs. Grand Seiko Spring Drive

Nur keine Hemmungen

August 2022. Wir haben keine Hemmungen und muten den treuen Lesern unserer «Probezeit» tatsächlich etwas zu. Sie müssen – dieses eine Mal – auf Messprotokolle und Gangtests verzichten. Dafür servieren wir zwei technische Leckerbissen auf höchstem Niveau: Uhren mit besonderen Hemmungssystemen.
Frederique Constant Slimline Monolithic vs. Grand Seiko Spring Drive «Snowflake»
Frederique Constant Slimline Monolithic vs. Grand Seiko Spring Drive «Snowflake»

In der Grand Seiko arbeitet keine klassische Schweizer Ankerhemmung, sondern ein hauseigenes elektromagnetisches System. Und dann gibt es auch noch die Frederique Constant Slimline Monolithic Manufacture, deren Hemmung aus einem Silizium-Wafer besteht, der zehnmal so schnell wie eine herkömmliche Unruh mit Spiralfeder schwingt.

Erstmals vorgestellt hatten wir diese Uhr schon vor einem Jahr. Zu kaufen gibt es sie in Deutschland allerdings erst jetzt, denn ein Patentrechtsstreit verhinderte die zügige Kommerzialisierung dieser Idee. Nun, so versicherte uns Frederique-Constant-Deutschland-Chef Markus Rettig, sei der Streit zugunsten seines Hauses beigelegt. Die Uhren dürfen nun auch hierzulande verkauft werden. Und die Kundschaft, die seit Monaten sehnlichst auf eine der limitierten Uhren (81 Exemplare in Gold, je 810 Stahluhren mit silbernem oder blauem Zifferblatt) wartet, soll nun zügig bedient werden. Und auch vorrangig, weshalb wir uns für diese «Probezeit» mit einer Vorserienuhr zufriedengaben, die eigentlich nur als Fotomuster gedacht war.

Frederique Constant Monolithic
Der Oszillator der Monolithic vibriert mit 288.000 A/h

ERSTER EINDRUCK

Martin Häußermann: Dass die Frederique Constant eine Vorserienuhr ist, sieht man ihr auf den ersten Blick nicht an. Zumindest von vorne wirkt die Slimline Monolithic wie eine verkaufsfertige Serienuhr. Doch als ich sie umdrehe, entdecke ich statt einer eingravierten Limitierungsnummer dreimal X. Also doch!

Sehr elegant kommt sie daher mit ihrem schlanken, leicht linsenförmigen Gehäuse und einem dazu passenden leicht gewölbten Saphirglas. Darunter liegt ein für die Slimline-Linie typisches Zifferblatt mit geprägtem Hufnagelmuster im Zentrum und aufgedruckten römischen Ziffern. Darüber kreisen schwarz lackierte Poires-Zeiger. An der 12-Uhr-Position ist ein kleines Zeigerdatum zu finden. Direkt gegenüber bei der «6» bietet eine kreisrunde Öffnung Einblick ins Innere der Uhr. Auch das hat Tradition bei Frederique Constant: «Heartbeat» steht dann meistens als Zusatz zur Typbezeichnung, weil der Herzschlag der Uhr – gemeint ist die schwingende Unruh – zu sehen ist. Nun, den Herzschlag sieht man auch hier, allerdings rast der regelrecht. Der «Monolith» schwingt zehnmal schneller als eine konventionelle Schweizer Ankerhemmung. Dieses wild zitternde Teil, je nach Lichteinfall erscheint es schwarz oder stahlblau, ist eine Schau. Wer als Uhrenfreund bisher keine Lupe hatte, wird sich jetzt eine anschaffen, um die Details des Taktgebers in Augenschein nehmen zu können. Der Sekundenzeiger macht 80 winzige Schritte pro Sekunde, was das menschliche Auge als gleitende Bewegung wahrnimmt.

Grand Seiko Spring Drive
Grand Seiko Spring Drive mit ruckfrei gleitendem Sekundenzeiger.

Auch der Sekundenzeiger der Grand Seiko gleitet über die Minuterie – und er gleitet tatsächlich! Die elektromagnetische Hemmung sorgt für eine gleichförmige Bewegung, die auch durch den Glasboden zu sehen ist. Hier hören die Gemeinsamkeiten der beiden Probanden aber auch schon auf. Die Grand Seiko hält sich nicht mit historischen Zitaten auf, sondern vermittelt optisch und haptisch die Rolle der modernen, sportlichen und zuverlässigen Alltagsbegleiterin. Das Gehäuse besteht aus Titan, das durch den Wechsel von polierten und strichmattierten Oberflächen gefällt. Die Glieder des Massivbandes haben für meinen Geschmack ein bisschen viel Spiel. Das ist bei Titanbändern aber ein generelles Thema. Ich habe noch keines gesehen, das komplett klapperfrei war.

Peter Braun: Die Monolithic wirkt mit ihrer klassischen Zifferblattgestaltung mit römischen Ziffern und Guillochierprägung recht betulich, dabei hat sie es faustdick unter dem Zifferblatt. Der «Herzschlag», den man bei Frederique Constant gerne in einer Öffnung über der Hemmung zeigt, sieht hier eher aus wie Kammerflimmern: ungesund. Besonders ausgeprägt ist der Effekt bei elektrischer Beleuchtung, wenn die Frequenzen von Hausstrom (50‒55 Hz) und Hemmung (40 Hz) sich überlagern. Meine spontane Reaktion auf das bizarre Schauspiel war: Hoffentlich gibt es die zweite Serie ohne Loch im Zifferblatt … Beim ersten Kontakt mit der «Snowflake» musste ich gleich mehrere meiner sorgsam gepflegten Vorurteile über Bord werfen. So war ich immer der Meinung, dass mir strukturierte Zifferblätter nicht gefallen, aber das unregelmäßige Muster lässt die Farbe Weiß noch brillanter wirken, wobei die großen Flächen keineswegs langweilig anmuten. Ich hätte sogar noch etwas mehr Mut zum Verzicht angeraten, denn der Held dieses Uhrengesichts ist ganz klar der kontinuierlich und ruckfrei schleichende Sekundenzeiger. Der scheinbar willkürlich bei der «5» angeordnete Gangreservezeiger lenkt da meiner Meinung nach bloß vom Wesentlichen ab. Zumal der Zeiger bei Vollaufzug waagerecht steht und nicht nach oben zeigt. Komisch.

Frederique Constant
Frederique Constant mit Faltschließe.

TRAGEGEFÜHL, BEDIENUNG, ABLESBARKEIT

MH: Die Slimline macht ihrem Namen alle Ehre und verschwindet wie selbstverständlich unter der Hemdmanschette, die Linsenform erlaubt höchsten Tragekomfort. Dazu trägt auch das geschmeidige Reptillederband bei, das die Uhr mittels Faltschließe am Handgelenk hält. Von außen zu sehen ist das Markenlogo in Form eines Wappens. Das wirkt, sagen wir mal, altehrwürdig. Das Zeigerdatum ist für meine Sehleistung eindeutig zu klein geraten und nur mit Lesebrille eindeutig abzulesen. Und der Minutenzeiger dürfte für meinen Geschmack etwas länger sein, damit er die Minuterie zumindest optisch berührt.

Das ist bei der Grand Seiko besser gelöst. Überhaupt gefällt mir deren Zifferblatt außerordentlich gut. Die aufgesetzten Indexe sind facettiert, ebenso wie Stunden und Minutenzeiger in Dauphine-Form. Dank der Facetten wird das Licht in den meisten Fällen so reflektiert, dass die Uhrzeit einwandfrei ablesbar ist ‒ erstaunlich bei der an sich kontrastarmen Kombination von weißem Zifferblatt und polierten Zeigern. Der temperaturgebläute Sekundenzeiger rundet das Bild ab. Ein wenig irritiert mich allerdings die Gangreserveanzeige, und zwar sowohl ihre Position als auch die Funktion. Bei Vollaufzug ist der Zeiger ganz unten. Das muss man mal verstehen. Dafür versöhnt die Heritage Snowflake mit tadellosem Tragekomfort, zu dem das geschmeidige Gliederband maßgeblich beiträgt. Vielleicht ist das üppige Spiel doch zu etwas gut?

PB: Das zweite Vorurteil, von dem ich mich nach dem Kontakt mit der Grand Seiko verabschiedete, betrifft Titan als Material von Gehäuse und Gliederband. Meine spitzzüngigen Bemerkungen zu klappernden Titanbändern sind bei Pressekonferenzen und Produktvorlagen gefürchtet, und auch über das «hochwertige» Gefühl von schweren Materialien habe ich mich schon oft ausgelassen. Und ja, die Heritage Snowflake ist ein Leichtgewicht, aber seltsamerweise stört mich das nicht ‒ im Gegenteil! Der Tragekomfort ist schlichtweg atemberaubend, wobei sich auch der rasche Angleich an die Körpertemperatur gut anfühlt. Aber die polierten Oberflächen an Gehäuse und Band haben nichts von dieser klebrigen Anmutung, die mich bei mattierten «Tool Watches» so abstößt.

Grand Seiko
Grand Seiko mit hartstoffbeschichtetem Titan-Gehäuse und -Band.

Zur Frederique Constant fällt mir hier nichts Bedeutendes ein: Wie schon gesagt gibt sich die Monolithic äußerlich absolut konventionell, wobei 11,4 mm Gehäusehöhe in meinen Augen eigentlich nicht zum Begriff «Slimline» passen. Hatte ich es schon erwähnt? Römische Ziffern außerhalb von Kirchturmuhr-Zifferblättern sehe ich eher problematisch.

TECHNIK, AUSSTATTUNG, GANG

MH: Spring Drive ist eine Seiko-Spezialität, welche die Japaner schon seit mehr als 20 Jahren anbieten, aber nach wie vor hochmodern ist. Der Name dieser Uhrwerke leitet sich vom Antrieb der Uhrwerke durch eine Aufzugsfeder (Spring) ab, die über einen Rotoraufzug mit Klinken (von Seiko als «Magic Lever» patentiert) gespannt wird, sobald der Träger sich bewegt. Vom Konzept her ist Spring Drive also eine ganz normale Automatikuhr, und letztlich werden auch Zeiger und Datumsanzeigen mechanisch über ein Räderwerk angetrieben. Der wesentliche Unterschied besteht in der Gangregelung, die hier eben nicht eine klassische Ankerhemmung übernimmt, sondern der sogenannte «Tri-Synchro-Regulator», eine Art elektromagnetische Wirbelstrombremse, die das Räderwerk im Sinne einer präzisen Zeitmessung einbremst. Der dadurch gewonnene Strom dient wiederum als Energiequelle für den Schwingquarz, der das Tempo des Hemmrades bestimmt. Das funktioniert mit unglaublicher Präzision. Am Arm lief die Grand Seiko über fünf Tage mit plus/minus null. Auf unserer Zeitwaage kann man diese Uhr nicht testen, denn sie misst per Mikrofon nur das Tick und Tack einer klassischen Ankerhemmung.

Grand Seiko Kaliber 9R65
Grand Seiko Kaliber 9R65

Deshalb streckt die Witschi auch bei der rein mechanischen Hemmung des Kalibers FC-810 die Waffen. Gemeinsam mit der Universität Delft entwickelte Frederique Constant dieses Hemmungssystem, das mit 40 Hertz oder 288.000 Halbschwingungen in der Stunde (A/h) oszilliert. Das ist zehnmal so schnell wie die meisten mechanischen Uhren und würde bei einer üblichen Hemmung mit Unruh und Spirale aufgrund deren Massenträgheit nicht funktionieren. Stattdessen nutzt Frederique Constant eine dünne Scheibe aus Silizium, die durch hochpräzises Herausätzen filigraner Formen Unruh, Spirale und Anker ersetzt und buchstäblich an die Stelle der Ankerhemmung tritt. Denn die Genfer konstruierten kein komplett neues Uhrwerk, sondern pflanzten den Silizium-Monolith in ein vorhandenes Uhrwerk ein – just an der Stelle, wo sonst die Ankerhemmung sitzt.

Weil es sich hier um ein funktionsfähiges Fotomuster und keine Serienuhr handelt, haben wir auf die Messung der Ganggenauigkeit verzichtet. In unserem Testmodell ist noch ein Monolith der ersten (Prototypen-)Generation eingebaut, in den Serienuhren arbeitet schon Generation acht. Diese Uhren, so versichert Frederique Constant, laufen mit Chronometerpräzision. Wir bleiben da auf jeden Fall dran.

PB: «Monolith» klingt in meinen Ohren eindeutig zu wuchtig für die dünne Silizium-Platte, von der wir hier reden. Durch die geschickte Anordnung von hochpräzise ausgeformten Schlitzen bzw. hauchdünnen Federklingen entwickelt die 0,3 mm dünne Platte aus monokristallinem Silizium ein Eigenschwingverhalten, das sich mit zwei Schiebegewichten feinregulieren lässt. Doch der Monolith ist nicht nur Unruh und Spirale, sondern auch Anker, der von einem fein gezahnten Ankerrad erregt wird und dieses gleichzeitig einbremst. Insofern ist die Analogie zur Schweizer Ankerhemmung perfekt, doch der Monolith kommt völlig ohne drehende, schwenkende oder sonst wie gelenkgelagerte Einzelteile aus und ist dadurch verschleißfrei. Auch benötigt die in Zusammenarbeit mit dem niederländischen Hightech-Campus YES!Delft entwickelte und bei dessen Tochterunternehmen Flexous produzierte Hemmung keinerlei Schmierung. Die Amplitude des Schwingsystems beträgt gerade mal 6° statt rund 300°, um die eine konventionelle Unruh ausschwingt. Die hohe Schwingfrequenz von 40 Hertz macht die Hemmung unempfindlicher gegenüber Erschütterungen.

Slimline Monolithic Frederique Constant Kaliber
Von hinten völlig konventionell: Das Kaliber FC-810 in der Frederique Constant.

Schon vor knapp 40 Jahren baute Seiko-Meisteruhrmacher Yoshikazu Akahane den ersten Prototyp einer mechanischen Armbanduhr mit elektromagnetischer Hemmung. Mit großer Zielstrebigkeit entwickelte der japanische Uhrentüftler das technische Kunststück zur Perfektion, durfte aber die viel beachtete Weltpremiere der «Spring Drive» auf der Basler Uhrenmesse 1998 nicht mehr erleben. Mich hat die Hybridtechnik aus mechanischer Energie und elektronischer Regulierung schon damals fasziniert, und in einem früheren Artikel zu diesem Thema habe ich mich sogar zu der Behauptung verstiegen, dass Spring Drive das Paradebeispiel für japanische Uhrmacherkunst ist. Man müsste sie deshalb in einem Atemzug nennen mit den epochemachenden Geräten von Sony, welche die Unterhaltungselektronik revolutionierten, oder der Honda 750 Four, welche die Vorstellung der Welt von einem Motorrad für immer veränderte. Davon ist die Spring-Drive-Technik zwar noch ein Stück entfernt, aber wer weiß …

FAZIT

MH: Eigentlich sollte man als technisch orientierter Uhrenfreund ja beide modernen Hemmungssysteme in der Sammlung haben. Klar, das kostet. Aber selbst, wenn man beide Uhren zusammen kauft, gibt man weniger Geld aus als für eine Rolex Daytona in Stahl. Die Grand Seiko würde ich, aller genannten Kritikpunkte zum Trotz, nehmen wie gezeigt. Bei der Frederique Constant hatte ich mich ja schon bei der Vorstellung gefragt, warum man ein solches Hightech-Werk derart harmlos verpackt. Hier würde ich vielleicht noch warten, bis dieses Uhrwerk in einer Sportuhr verfügbar ist, und mich in Geduld üben.

PB: Wenn dieser Tage allenthalben vom Uhrensammeln die Rede ist, möchte ich an dieser Stelle eine Lanze brechen für unsere beiden «Probezeit»-Prüflinge. Ich finde, die Slimline Monolithic und die Grand Seiko Spring Drive verkörpern im Gegensatz zu den zigfach aufgewärmten Sechziger- und Siebziger-Jahre-Designs anderer Marken neuartige und eigenständige intelligente Ansätze und verdienen einen Platz in jeder ambitionierten Uhrensammlung. Eine Spring Drive ohne Gangreservezeiger und eine Monolithic im modernen Gewand, das wär’s für mich.

Text: Peter Braun, Martin Häußermann

Bilder: Martin Häußermann

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