Jahresrückblick 2022: Chrono-Innovationen

Chronographen-Leckerbissen

Dezember 2022. Sie sind die Krone der Uhren-Schöpfung: Chronographen begnügen sich nicht damit, die Zeit anzuzeigen. Sie schaffen ihre eigene Zeit, auf Knopfdruck.
MB&F

Endlich! 2022 war ein außergewöhnliches Jahr für die Uhrenszene, ein fulminanter Neubeginn nach einer viel zu langen Zeit voller Hemmnisse für Vertrieb, Kommunikation und Produktion. Viele Marken haben die bleiernen Monate der Pandemie mit bunten Zifferblättern und recycelten Armbändern überbrückt, doch nun war es an der Zeit für Neues. Wir stellen Ihnen hier die wichtigsten, wenn nicht sogar wegweisenden Chronographen-Neukonstruktionen der letzten zwölf Monate vor. Und verraten Ihnen hier die Lieblinge der Redaktion.

Schnellschwinger von Patek Philippe

Patek Philippe Ref. 5470
Klassisch und zurückhaltend, doch unter dem Zifferblatt steckt einer der kompliziertesten Schleppzeigermechanismen aller Zeiten: Patek Philippe Ref. 5470.

Der neue Chronograph Ref. 5470 von Patek Philippe aus der Modellfamilie Calatrava wirkt auf den ersten Blick wie eine Neuauflage der Ref. 5370 mit Schleppzeiger, mit der er sich auch die technische Basis teilt. Doch seine beiden dünnen Stoppsekundenzeiger aus der Mitte sind unterschiedlich gefärbt, und wenn man die Chronographenmessung startet, verblüffen sie den Betrachter mit verschiedenen Umlaufgeschwindigkeiten: Während der polierte Sekundenzeiger mit kaum wahrnehmbaren Trippelschritten die Minuterie mit 60 Perlindexen entlangläuft, überholt ihn sein roter Kollege bereits auf den ersten Winkelgraden mit einer nahezu gleichförmigen, fließenden Bewegung – in fünffachem Tempo. Jeweils eine Sekunde benötigt der aus ultraleichtem Silinvar gefertigte Zeiger zum Durchlaufen der zwölf Minuterie-Segmente, und deren feine Unterteilung in jeweils zehn Schritte verrät den Zweck der Übung. Bei einer Chronographenmessung liest man am polierten Sekundenzeiger die letzte verstrichene Sekunde ab, und am roten Zeiger – der zu diesem Zeitpunkt überall auf dem Zifferblatt stehen geblieben sein kann – ist dazu die exakte Zehntelsekunde zu ermitteln.

Die Aufrüstung des Chronographenkalibers von 28.800 A/h auf 36.000 A/h war von der Hemmungsseite kein Problem: Hier kommt im neuen Kaliber CH 29-535 PS 1/10 eine Oscillomax-Gruppe, bestehend aus Pulsomax-Hemmung, Gyromax-Unruh und Spiromax-Spirale, zum Einsatz. Der technische Aufwand hinter der Komplikation bewegt sich jedoch laut Auskunft von Chef-Uhrwerkentwickler Anthony Krüttli auf dem Niveau einer Minutenrepetition. Ausgehend vom Schleppzeiger-Handaufzugskaliber CHR 29-535 PS mit horizontaler Kupplung, pflanzten die Uhrmacher einen kompletten zweiten Chronographenmechanismus auf den Kupplungshebel des Basischronographen. 54 zusätzliche Bauteile werden nun beim Start, Stoppen und Rückstellen der Messung mit dem Kupplungshebel mitbewegt, der durch ein ausgeklügeltes Klauensystem gegen Erschütterungen gesichert ist.

MB & F Kaliber
36.000 A/h schaffen die Grundlage für den Zehntelsekundenmechanismus des Kalibers CH 29-535 PS 1/10

VIER MESSFUNKTIONEN

Meisteruhrmacher Stephen McDonnell hat für Max Büsser & Friends einen neuartigen mechanischen Doppelchronographen entwickelt, der von der Schleppzeigerfunktion bis zur Rundenzeitmessung sämtliche Disziplinen der Kurzzeitmessung beherrscht. Die Legacy Machine Sequential EVO ist ein echter Multi-Chronograph. McDonnell konstruierte zwei symmetrisch zur Mittelachse angeordnete, unabhängige Chronographen, um wie bei einem Vorwählgetriebe im Automobil – heute Doppelkupplungs-Schaltgetriebe (DSG) genannt – zwischen zwei Antriebssträngen hin und her schalten zu können. Dazu bedurfte es neben der kompletten Ausstattung zweier Chronographen mit Schaltrad und 2 Zeiger-Isolator auch eines Umschalters samt Hebelei, die in beide Chrono-Kadraturen eingreift. «Twinverter» heißt dieser Umschalter bei MB&F und er ist in Form eines Gehäusedrückers bei der «9» angebracht. Zusammen mit den zwei Start/Stopp-Drückern und den beiden Nullstellern stehen dem Benutzer also insgesamt fünf Schaltelemente zur Verfügung, mit denen sich vier verschiedene Funktionsprotokolle bedienen lassen.

Sequential EVO von MB&F und Klepcys DICE
Links: Vier Arten der Zeitmessung ermöglicht die Sequential EVO von MB&F. Rechts: Zwei völlig unabhängig voneinander schaltbare Chronographen charakterisieren den Klepcys DICE.

Im Grundmodus funktionieren beide Chronographen unabhängig voneinander, denn das Handaufzugswerk versorgt beide Mechanismen permanent mit Federkraft. Man kann folglich parallel zwei völlig unabhängige Messungen durchführen, der «Sequential» ist im Grunde zwei Chronographen. Bei der Simultanschaltung lassen sich wie bei einem Schleppzeigerchronographen zwei Ereignisse mit einem gemeinsamen Startzeitpunkt, aber verschiedenen Endzeitpunkten messen.

Funktion 3 nennt Max Büsser die «Schachuhr»: Sobald Spieler 1 seinen Spielzug beendet hat, übergibt er an Spieler 2, indem er seine Zeit anhält und die Zeit seines Gegenübers startet. Daraus resultieren bis zum Ende der Partie zwei unterschiedliche Gesamtzeiten für Spieler 1 und Spieler 2, die eine Schachuhr mit zwei Zeigern aufzeichnet. Zurück zur Messung der ersten Aufgabe gelangt man über einen erneuten Druck auf den Twinverter-Drücker, mit dem man zwischen beiden Aufzeichnungen beliebig hin und her schalten kann.

Im sequenziellen vierten Schaltmodus können die individuellen Zeiten mehrerer direkt aufeinander folgender Runden eines Rennens ermittelt werden – verlustfrei, ohne umständliches Stoppen, Nullstellen, Neustarten. Der Twinverter schaltet zwischen den beiden Chronographen um, stoppt den einen und startet gleichzeitig den zweiten. Der Nutzer kann sich die gestoppte Zeit notieren und Chronograph 1 auf null stellen, und beim nächsten Durchgang des Rennwagens wird auf erneuten Druck auf den Twinverter-Knopf die laufende Messung von Chronograph 2 angehalten und der präparierte Chronograph 1 wieder gestartet.

Der Verkaufspreis für die Legacy Machine Sequential EVO beträgt 160.000 Euro.

CHRONOGRAPHEN TRANSPARENT

Ein ganz ähnliches Prinzip verfolgt der Klepcys DICE (für Double Independant Chronograph Evolution) der Genfer Marke Cyrus. Zugegeben – völlig neu ist die Uhr nicht: Aufmerksame Beobachter hatten schon im letzten Jahr auf der Geneva Watch Week das Wunderwerk von Konstrukteur Jean-François Mojon bewundern können. Der kreative Uhrmacher ist für viele ambitionierte Uhrenmarken tätig, für die er nicht nur Pläne schmiedet, sondern in seiner Manufaktur in Le Locle auch Einzelteile, Uhrwerke, Gehäuse und auf Wunsch komplette Uhren fertigt.

Der doppelte Ein-Drücker-Chronograph DICE verfügt über ein Automatikuhrwerk vom Kaliber CYR718 mit zwei unabhängigen Chronographen-Räderwerkszügen, mit denen sich zwei kurze Zeiten separat oder synchron messen lassen können. Das perforierte Zifferblatt mit seiner 3-D-Architektur ist charakteristisch für alle Modelle der Schweizer Marke und erlaubt Einsicht in die Mechanik des Chronographen, die bei Automatikuhren normalerweise im Verborgenen wirkt.

Minerva «Unveiled Secret»-Chronograph
Von hinten nach vorn konstruiert: Der «Unveiled Secret»-Chronograph von Minerva stellt seine Technik auf der Zifferblattseite zur Schau.

Um die von den beiden Chronographen aufgezeichneten Zeiten auf den ersten Blick unterscheiden und ablesen zu können, hat Cyrus Genève zwei unterschiedliche Farbschemata gewählt. Der erste Chronograph zeichnet sich durch seine grüne Farbe aus und wird über die Krone bei 3 Uhr aktiviert, gestoppt und bei der «12» auf null gestellt. Der zweite Chronograph, der durch Betätigen des Drückers auf der Krone bei 9 Uhr aktiviert wird, ist gelb dargestellt und hat seine Nullposition bei der «6».

Eine charmante technische Besonderheit fanden die Besucher der Watches and Wonders ausgerechnet in der für ihre klassischen Schaltradchronographen berühmten Montblanc-Submarke Minerva. Ein skelettierter Minerva-Chronograph wäre an sich schon eine Besonderheit. Doch der Montblanc 1858 «The Unveiled Secret Minerva Monopusher Chronograph LE18» verfügt über ein «von hinten nach vorn» umkonstruiertes Chronographenwerk auf der Basis des bekannten Kalibers MB 16.29: Die Zeigerachsen wurden nach hinten durch das Uhrwerk und die – üblicherweise – an der Rückseite gruppierte Chronographen-Kadratur hindurchgeführt und ihre Drehrichtung umgekehrt. Wenn man das Werk dann verkehrt herum einschalt, sind sämtliche Chronographenfunktionen auf der Zifferblattseite live bei der Arbeit zu beobachten. Ein begeisterndes Schauspiel, das allerdings auch seinen Preis hat: «The Unveiled Secret», limitiert auf 18 Exemplare, kostet im Edelstahlgehäuse gut 30.000 Euro, in Gold knapp 50.000 Euro. Fun Fact am Rande: Das neue Kaliber, für das am Ende nur 21 Teile neu angefertigt werden mussten, trägt die Bezeichnung MB 16.26 – die «6» am Ende ist eine umgedrehte «9».

Text: Peter Braun

Weitere Specials


Outdoor-Uhren
Extreme Taucheruhren
Der Umwelt zuliebe
Teilen
Ähnliche Artikel
Artikel teilen

Bitte wählen Sie eine Plattform, auf der Sie den Artikel teilen möchten:

Beitrag melden

Fehler: Kontaktformular wurde nicht gefunden.

xxx
Newsletter-Anmeldung

* Pflichtfeld

** Ja, ich möchte regelmäßig den Newsletter von armbanduhren-online.de, zum Thema Armbanduhren der Heel Verlag GmbH per E-Mail erhalten. Diese Einwilligung kann ich jederzeit per Mail an armbanduhren@heel-verlag.de oder am Ende jeder E-Mail widerrufen.Durch die Bestätigung des «Eintragen»-Buttons stimme ich zusätzlich der Analyse durch individuelle Messung, Speicherung und Auswertung von Öffnungsraten und der Klickraten zur Optimierung und Gestaltung zukünftiger Newsletter zu. Hierfür wird das Nutzungsverhalten in pseudonymisierter Form ausgewertet. Ein direkter Bezug zu meiner Person wird dabei ausgeschlossen. Meine Einwilligungen kann ich jederzeit mit Wirkung für die Zukunft wie folgt widerrufen: Abmeldelink im Newsletter; Mail an armbanduhren@heel-verlag.de. Weitere Informationen erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.