Rado AnatomComeback nach vierzig Jahren
Rado greift das wegweisende Design der Anatom von 1983 wieder auf und führt den Klassiker mit modernen Materialien in die Zukunft.
Sich eine schöne mechanische Uhr zu kaufen, hat viel mit Passion und Freude am Besonderen und eher weniger mit Vernunft zu tun. Das gilt in ganz besonderem Maße für unsere beiden «Probezeit»-Kandidaten, die höchstwahrscheinlich nicht zur Erstausstattung eines Uhrenfreundes gehören. Dazu zählen in der Regel Handaufzug- oder Automatikuhren im Stahl- oder Titangehäuse, vielleicht auch ein Chronograph, und wenn man sich einmal etwas ganz Gutes tun will, schafft man sich eine Golduhr an, die dann zu besonderen Anlässen getragen wird. Zu dieser «Probezeit» haben wir aber zwei äußerst auffällige Chronographen in Keramikgehäusen eingeladen, die als Drittuhr taugen könnten – und beide sind echte Hingucker, die man sich auch zu tragen wagen sollte.
Dass die IWC Pilot’s Chronograph Top Gun «Lake Tahoe» hier an den Start geht, ist nicht nur der Lancierung auf der jüngsten Watches & Wonders in Genf geschuldet. Schließlich gehören die Schaffhauser zu den Pionieren bei Keramikuhren: Seit 1980 kommt dieses Gehäusematerial bei IWC zum Einsatz. Sinn-Chef Lothar Schmidt, damals als Ingenieur in Diensten von IWC, erzählt gern folgende Anekdote: Als er das erste Muster eines Keramikgehäuses in das Büro von Günter Blümlein brachte, geriet der – inzwischen leider verstorbene – IWC-Patron ob des vermeintlichen technischen Humbugs derart in Rage, dass er das Muster einfach aus dem Fenster warf. Doch überstand das Musterteil den Fenstersturz vollkommen unbeschadet, sodass Blümlein einlenkte und IWC mit der Da Vinci Ewiger Kalender seine erste Keramikuhr baute. 1994 zog das Material dann auch in die Fliegeruhrenlinie ein.
Bei Hublot spielen besondere Gehäusematerialien seit der Markenübernahme durch Jean-Claude Biver eine besondere Rolle. Karbon, Magic Gold, eingefärbtes Saphirglas oder Keramik – Hublot lässt eigentlich nichts aus. Und holte sich die Kompetenz im Gehäusebau ins eigene Haus. Im Jahr 2011 erwarb man den langjährigen Lieferanten Profusion, der auf Karbon-Komponenten spezialisiert war, später baute Biver im eigenen Haus systematisch das Know-how in Metallurgie und Keramikherstellung aus. Hochtechnische Gehäuse baut Hublot also selbst, während sich die IWC auf spezialisierte Lieferanten verlässt. Beim Uhrwerkbau dagegen setzen beide Marken ausschließlich auf die eigene Kompetenz. Hier treten folglich zwei reinrassige Manufakturprodukte mit- und gegeneinander an.
Peter Braun: Blanc de Blanc – das matte Weiß von Gehäuse und Kautschukband strahlt in einer Intensität, dass nicht nur der Träger, sondern auch seine Mitmenschen mitunter wie hypnotisiert auf das Handgelenk mit dem IWC Fliegerchronograph starren. Die kontrastreiche Kombination hat durchaus eine praktische Seite, denn in puncto Ablesbarkeit leistet sich die Uhr keine Schwäche. Auch nicht bei Nacht, wenn die vier Hauptindexe bei 12, 3, 6 und 9 mit den klassischen Rautenzeigern der Zeitanzeige grünlich um die Wette leuchten, üppiger Leuchtmassenbelegung sei Dank.
Ansonsten bin ich nicht so der Typ für blütenweiße Kleidungsstücke – mir reichen meist wenige Minuten, um einen Fleck aufs Hemd zu tropfen oder unachtsam mit verschwitzten Händen einen grauen Schatten auf die hellen Hosen zu reiben. Und in der Tat wirkt auch das Kautschukband bereits nach zwei Tagen an manchen Stellen (an der Handgelenk-Unterseite) schmutzig. Okay, das lässt sich mit etwas Wasser und Seife problemlos reinwaschen – aber will ich das ständig tun müssen? Auch die Fingernägel reiben beim Ziehen oder Drehen der Schraubkrone kleine Streifen auf das Keramikmaterial des Gehäuses, wo man zum Putzen bzw. Wegrubbeln nur schwer hinkommt.
Ich will der Uhr aber daraus keinen Strick drehen, denn schließlich gibt es sie ja auch in anderen durchgefärbten Keramikarten – beispielsweise Schwarz, «Woodland»-Dunkelgrün oder Blau –, und diese gedeckten Farben liegen mir eh besser.
Mit ihrer markanten Ausstattung ganz in Schwarz kommt die Hublot Big Bang Unico «All Black» meinem persönlichen Uhrengeschmack ein ganzes Stück weiter entgegen. Sie schmiegt sich mit ihren quasi vorgefertigten schräg stehenden Bandanstößen auch an meinen recht schmalen Arm und sitzt sauber mittig positioniert auf dem Handgelenkrücken. Irgendwie scheint das Gehäuse einen niedrigeren Schwerpunkt zu haben als das der IWC, denn es baut nicht unbedingt flacher.
Dieses Gehäuse ist ebenfalls aus Keramik gefertigt, zumindest größtenteils. Das Mittelteil besteht bei allen Big Bangs nämlich aus spritzvergossenem Kunststoff, was man bei Hublot gern mal «high-tech composite» nennt oder am liebsten komplett verschweigt. Die Schale ist aus mehreren Schichten aufgebaut: Besagtes Mittelstück wird von zwei Deckelplatten aus Keramikmaterial ins Sandwich gepackt, die mit ihren abgewinkelten Enden gleichzeitig die Bandanstöße formen. Im Gehäusemittelteil sind Drücker und Schraubkrone verankert. Durch dieses Paket hindurch werden Lünette und Boden, ebenfalls aus Keramik, miteinander verschraubt, wobei die typischen Schraubenköpfe mit H-förmigen Schlitzen dem Hobby-Uhrmacher das Zerlegen der Uhr unmöglich machen. Durch die Schichtkonstruktion wirkt die Uhr aus jedem Blickwinkel ziemlich zerklüftet, und auch wenn wir beim «Probezeit»-Tragetest nicht in die Vollen gegangen sind, könnte ich mir vorstellen, dass die Big Bang bei mir nach ein paar Monaten in den Ecken und Kanten Schmutz ansetzt. Meine Probleme mit hellen Klamotten hatte ich ja schon gebeichtet.
Martin Häußermann: Die Erfahrungen des Kollegen teile ich. Ich meine jetzt nicht die mit den weißen Klamotten, sondern die mit der IWC. Als mir Alexander Schwenck, Pressechef von IWC Deutschland, die Lake Tahoe übergab, zog ich sie sofort an – und damit auch die Blicke meiner Gesprächspartner. Augenscheinlich polarisiert diese Uhr. Von «Mann, sieht die cool aus» bis «Wirkt wie eine Plastikuhr» waren alle Kommentare dabei. Erstere baten umgehend um eine Trageprobe, Letzteren überreichte ich sie proaktiv. Nimmt man diese Uhr tatsächlich in die Hand und an den Arm, stellt sich auch haptisch das Gefühl ein, ein hochwertiges Produkt zu tragen. Hinterfragt wurde, warum man denn das Uhrwerk nicht sehen könne. Aber da sind die Schaffhauser glücklicherweise konsequent geblieben und haben den bei IWC-Fliegeruhren typischen Magnetfeldschutz nicht zugunsten eines optischen Effekts korrumpiert. Aber das sogenannte Storytelling muss wohl sein, sonst hätte man diese Fliegeruhr nicht mit dem Namen «Top Gun» und den Trainingsgebieten dieser Jagdfliegerschule benannt. Ich bin weder Militärpilot noch wäre ich gern Tom Cruise – insofern hätte ich auf dieses Namensbrimborium gern verzichtet. Aber wenn die Uhr am Arm ist, kann man die entsprechende Bodengravur ja nicht lesen.
Auch bei Hublot hat man einen Hang zu extrem langen Produktbezeichnungen, glücklicherweise beziehen die sich aber ausschließlich aufs Produkt. Und dieses hier ist ein ziemlicher Klopper. Ich weiß nicht, warum diese Big Bang im Prospekt mit 44 mm Durchmesser angegeben ist. Nachgemessen habe ich 46 mm «von Ohr zu Ohr», also den beiden Gehäuseschultern links und rechts des Zifferblatts, während die Lünette einen Außendurchmesser von etwas über 40 mm hat. Mit 44 mm ist wohl das Diagonalmaß von «4» nach «10» bzw. von «8» nach «2» gemeint. Wie dem auch sei, diese Uhr ist eine typische Hublot mit allen schon erwähnten Insignien wie der dreiteiligen Gehäusekonstruktion oder auch den H-Schrauben. Diese Uhr scheint zu schreien: «Schaut her, ich bin eine Uhr für echte Männer!» Das ist mir eine Spur zu ostentativ. Und dann noch das Kunststoffmittelteil, bei dessen Beurteilung sich der Kollege noch sehr nachsichtig zeigt. Ich finde, ein so billiges Material hat in einer so teuren Uhr – wir reden hier von über 20.000 Euro – nichts zu suchen. Vor allem steht das in krassem Kontrast zu der hervorragenden Mechanik, die Hublot liefert und die sowohl von vorn als auch von hinten sichtbar gemacht wurde. Aber dazu später.
Peter Braun: Der Tragekomfort der IWC ist für die doch recht große Uhr ganz passabel, aber das Kautschukband ist – unabhängig von der Farbe – nicht so mein Ding, weil recht steif. Das ist in Anbetracht des hohen Gewichts des Uhrenkopfes ja auch ganz sinnvoll, denn nichts ist für einen Chronographen schlimmer als ein zu dünnes, labberiges Gummiband. Ich hätte dennoch gern mal das Textilband ausprobiert, das für die weiße Edition Lake Tahoe leider nicht angeboten wird, aber rein technisch passen würde. Ich empfinde den Tragekomfort des beim Schwitzen unangenehm glitschig werdenden Kautschukbandes jedenfalls einer derart teuren Uhr nicht angemessen.
Da haben mir das angenehm weiche, aber nicht zu weiche Kautschukband der Hublot und ihre Faltschließe mit seitlichen Entriegelungsknöpfen besser gefallen. Das lässt sich schöner bedienen als die Faltschließe der IWC, die sich nur mit «knackiger» Gewalt öffnen und schließen lässt. Sehr gut durchdacht, funktional, sicher und in der Bedienung unkompliziert ist auch das «One Click»-Bandschnellwechselsystem der Hublot, in meinen Augen mit das Beste auf dem Markt. Das skelettierte Zifferblatt halte ich aber einer Sportuhr nicht für angemessen, weil es die Ablesbarkeit unnötig erschwert.
Martin Häußermann: Stimmt und stimmt nicht. Das Hublot-Bandwechselsystem ist fraglos eines der besten seiner Art. Beim durchbrochenen Zifferblatt schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich finde es durchaus legitim, dass man bei Hublot zeigt, was man hat. Und das Unico 2 ist nun wirklich ein spannendes und sehr ansehnliches Uhrwerk – auch und gerade auf der Zifferblattseite. Und weil das Ganze mit grau getöntem Glas abgedeckt ist, ergibt sich durchaus ein Kontrast zu den mächtigen, mit viel Leuchtmasse ausgelegten Stahlzeigern. Ich halte zumindest die Ablesbarkeit der Uhrzeit für absolut akzeptabel. Beim Datum muss man allerdings Abstriche machen.
Das kann die IWC aber alles besser. Sie ist auch mit weißem Gehäuse eben eine Fliegeruhr geblieben, deren Zifferblatt vom starken Schwarz-Weiß-Kontrast lebt und bestens ablesbar ist. Obwohl die Lake Tahoe wegen des Magnetfeldschutzes deutlich höher baut als die Hublot, wirkt sie keineswegs kopflastig. Die Kritik am IWC-Band teile ich nicht. Ich finde, es trägt sich prima und hält die Uhr genau dort, wo sie sein soll, auch dank der stabilen und sehr gut verarbeiteten Faltschließe. Aber ich bin ja auch, im Gegensatz zu meinem lieben Kollegen, ein erklärter Fan von Kautschukbändern. Was den Tragekomfort angeht, bin ich unentschieden, aber positiv: Mir waren beide Uhren am Handgelenk sehr angenehm. Das Einzige, was ich der IWC ankreide, ist die mit 6 bar geringe Wasserdichtheit. Zum Schwimmen sollte man sie besser ausziehen. Andere Hersteller haben gezeigt, dass auch Keramikuhren bis 10 bar dicht sein können.
Peter Braun: Für eine Fliegeruhr wie die IWC finde ich die Ummantelung des Uhrwerks mit einer Schale aus (magnetisch) weichem Stahlblech zur Abschirmung magnetischer Strahlung sehr sinnvoll. Technisch betrachtet handelt es sich um eine Containerbauweise: Ein Titan-Innenring wird mit dem Keramikgehäuse geklebt und trägt neben den Tuben für Drücker und Krone das Gewinde für den Titan-Schraubboden. Diese Feinbearbeitungen würden bei dem spröden Keramikmaterial erheblich höheren Aufwand erfordern bzw. in der Herstellung mehr Ausschuss produzieren. In dieser Titan-Konstruktion ist dann der sogenannte «Weicheisen-Innenkäfig» samt dem eingebetteten Uhrwerk eingelegt. Ein Zifferblatt aus Weicheisen würde echten Rundumschutz bieten, doch hier wurde leider nur die übliche Messinglegierung verwendet, wie man uns auf Nachfrage bestätigte.
Die vielfach sichtbare Mechanik freut nicht nur den Kollegen. Auch ich kann mich der Faszination der frontseitig angeordneten Chronographenmechanik nicht entziehen. Butterweich löst der Startdrücker aus und dreht das bei der «6» sichtbare Schaltrad einen Schritt nach links. Bei der «8» schwenkt das filigrane fotogeätzte Chronographenrad (hergestellt im LIGA-Verfahren) in Richtung Zentrum und setzt den zentralen Sekundenzeiger in Bewegung. Das Unico Kaliber 1280 verfügt über eine Flyback-Funktion, das bedeutet, die laufende Chronographenmessung kann jederzeit ohne vorheriges Stoppen «im Flug» zurückgestellt werden und startet automatisch neu. Das Uhrwerk steckt in einem Metallcontainer, der (wahrscheinlich) mit dem Gehäusemittelteil verklebt ist. Durch den transparenten Gehäuseboden lässt sich die sehr schöne Verarbeitung und Finissierung des Manufakturkalibers betrachten. Der nüchterne technische Look ist natürlich Programm, aber auch hier erkennt man im Detail die saubere Arbeit.
Martin Häußermann: So sämig wie die Hublot-Drücker lassen sich die der IWC tatsächlich nicht bedienen. Aber ich bin auch durchaus ein Freund des spürbaren Druckpunkts bei Auslösung der Chronographenfunktion. Den bietet die IWC – ohne so störrisch zu sein wie beispielsweise ein Valjoux-Werk. Und das Kaliber 69380 läuft wie eine Eins! Auf unserer Zeitwaage Witschi Chronoscope S1 ergab sich ein durchschnittlicher Vorgang von 3,6 Sekunden am Tag (s/d). Der reduzierte sich am Arm auf rund 1 s/d. Das ist chronometerfähig.
Dagegen hatte es die Hublot deutlich eiliger. Die Witschi ermittelte einen durchschnittlichen Vorgang von 11,1 s/d und außerdem starke Differenzen zwischen flachen und horizontalen Lagen. Auch am Arm wurde es nicht viel besser mit einem Vorgang von rund 10 s/d. Solche Werte sind dieses Uhrwerks nicht würdig. Ich bin mir sicher, ein guter Uhrmacher kann hier jedoch Abhilfe schaffen.
Peter Braun: Keramik ist für mich eines der wenigen satisfaktionsfähigen Materialien für Uhrengehäuse – neben Edelstahl, Titan und Gold. Insofern habe ich die beiden Uhren eher wohlwollend betrachtet und war mit dem Tragekomfort sehr zufrieden. Aus dem empfindlichen Weiß will ich der IWC keinen Strick drehen, ich würde sie halt in einer gedeckteren Farbe wählen und wäre folglich gut bedient. Die Hublot gefällt mir als technisches Schaustück und überzeugt mich mit ihrer komfortablen Ausstattung. Das Schichtgehäuse würde ich zur Not noch ebenso in Kauf nehmen wie die durch das skelettierte Zifferblatt kompromittierte Ablesbarkeit. Aber der Preis ist mir eindeutig zu hoch.
Martin Häußermann: Ohne Wenn und Aber, ich bin Team IWC. Mir ist die Hublot für das Gebotene deutlich zu teuer. Die Lake Tahoe ist zwar auch nicht gerade ein Schnäppchen, doch habe ich hier das Gefühl, mehr Uhr fürs Geld zu bekommen. Ich mag die IWC, weil sie ihren Charakter als Fliegeruhr behalten hat, obwohl sie sich dank des weißen Keramikgehäuses zu einem echten Hingucker entwickelt hat. Und ich auch keine Probleme mit hellen Klamotten und Uhren habe.
Text: Peter Braun, Martin Häußermann
Bilder: Martin Häußermann
Probezeit: Frederique Constant Monolithic vs. Grand Seiko Spring Drive
Probezeit: Nomos Club Sport vs. Oris Big Crown