Extraklasse: Superbia Humanitatis

Das letzte Einhorn

In der letzten Dekade konnten wir einen veritablen Paradigmenwechsel in der Uhrenindustrie beobachten: Moderne Technologien machten die Konstruktion neuer Werke und Komplikationen einfacher, Vertriebswege wurden direkter (Stichwort: e-Commerce) und Finanzierungsmöglichkeiten wie z. B. Crowdfunding haben die Geldakquise direkt mit der Marktforschung verbunden – was mittlerweile gern auch von etablierten Marken genutzt wird
Die feine Uhrmacherei ist direkter und auch ein Stück demokratischer geworden. Das ist für die Sammler zunächst einmal ein Gewinn. Wenn man indes genauer hinschaut, stellt man fest, dass die Transformation der Uhrenindustrie sichtbare Spuren hinterlassen hat. Betrachtet man die jüngeren Werke Genfer oder auch Glashütter Provenienz, so findet man zwar noch immer feinste Dekoration und Ästhetik. Aber es fällt auch auf, dass die Formen einfacher und die zu finissierenden Oberflächen weniger geworden sind – mit anderen Worten: Die Werke sind «maschinenfreundlicher» geworden, der Mensch legt nur noch ganz zuletzt seine (oder ihre) Hand an.
Die Gegenreaktion erfolgt durch unabhängige Uhrmachermeister, die ihren Fokus ganz auf die Handwerkskunst legen. Diese belegten recht erfolgreich eine Nische, die von den erfahrenen Sammlern gern nachgefragt wurde und wird.
Recht dünn ist jedoch das Segment der absoluten Meisterklasse in der Uhrmacherkunst (die damit diesem Namen auch gerecht werden würde) besetzt: Uhren, die sowohl technisch als auch ästhetisch herausragen und dabei in ihrer Gesamtheit in sich stimmig sind – echte pièces de résistance für erfahrene Sammler eben.

Stolz der Menschheit

Ende des 19. Jahrhunderts entstand in den Ateliers von Louis-Elisée Piguet in Le Brassus ein außergewöhnliches Taschenuhrwerk mit Minutenrepetition und Großem Schlagwerk. In jahrzehntelanger Arbeit haben es zwei der besten Uhrmacher der Gegenwart, Franck Muller und Paul Gerber, zur kompliziertesten Armbanduhr der Welt vollendet.
Die «Superbia Humanitatis» ist ein ultrakomplexes Meisterwerk und Zeugnis einer besonderen Uhrmacherethik. Die Uhr verfügt neben einer Minutenrepetition mit Großem und Kleinem Schlagwerk («Grande et Petite Sonnerie») auch über einen ewigen Kalender mit Schaltjahres- und Äquationsanzeige, Mondphase und Thermometer sowie einen Schleppzeigerchronographen mit springendem Minutenzähler und Flyback-Funktion. Mit genau 1116 Einzelteilen ist sie seit 2005 als komplizierteste Armbanduhr der Welt im Guinnessbuch der Weltrekorde gelistet.
Was die Superbia Humanitatis eigentlich so faszinierend macht, sind nicht die schiere Anzahl der Komplikationen oder die Menge der funktionalen Einzelteile, sondern die Genese der Uhr, die damit einhergehenden konstruktiven Besonderheiten sowie die unvergleichliche Art, wie diese umgesetzt wurden.

Kapitel I: Louis-Elisée Piguet

Komplizierteste Uhr der Welt «Superbia Humanitatis»
Das «Ur-Uhrwerk» von Piguet hatte «nur» eine Minutenrepetition samt Grande et Petite Sonnerie.

Der Ausgangspunkt war ein hochfeines Taschenuhrwerk, das aus einer Serie von drei identischen Exemplaren stammt, die um das Jahr 1882 in den Werkstätten von Louis-Elisée Piguet (1836–1924) in Le Brassus im Schweizer Vallée de Joux entstanden. Jedes dieser mit 18.000 Halbschwingungen in der Stunde tickenden Werke verfügte über Minutenrepetition, Grande et Petite Sonnerie sowie Stunden-, Minuten- und Sekundenanzeige, realisiert mit insgesamt 491 Teilen.
Unter den klassischen Komplikationsuhren nehmen die Minutenrepetition und besonders das Große und Kleine Schlagwerk einen Extraplatz ein. Bis heute ist nur eine Handvoll Uhrenkünstler in der Lage, eine solche Komplikation zu fertigen. Sogar für ausgewiesene Meister ihres Faches wie Philippe Dufour ist es keine alltägliche Arbeit, ein solches Werk in Armbanduhrengröße fertigzustellen.
Eine von selbst tönende Uhr – also eine Uhr, welche die Zeit schlägt, während sie vergeht – erinnert irgendwie an Großvaters Wanduhr. In der Schaltposition «Grande Sonnerie» schlägt sie die vollen Stunden mit einem einfachen Schlag und zusätzlich, nach jeder vergangenen Viertelstunde, die Stunden mit einem einfachen und die Anzahl Viertelstunden mit je einem Doppelschlag. In der Position «Petite Sonnerie» entfallen die Stundenschläge bei den Viertelstunden. Selbstverständlich kann der Schlag vollständig abgestellt werden.
Die exakte Zeit auf die Minute genau kann jederzeit über den Schieber der Minutenrepetition akustisch abgerufen werden: ein tiefes «dong» für die Stunden, ein «ding-dong» für jede seit der letzten Stunde verstrichene Viertelstunde, gefolgt von einem «ding» für jede Minute seit der letzten Viertelstunde.
Zwei der außergewöhnlichen Piguet-Werke mit Grande et Petite Sonnerie sind im Laufe der Jahre verschwunden. Auch über das Schicksal des einzigen verbliebenen mit der Nummer «0» ist wenig bekannt. Es tauchte jedoch im Jahr 1989 bei einer Antiquorum-Auktion auf und kam in den Besitz von Franck Muller, einem damals weitgehend unbekannten, aber hochbegabten Uhrmacher in Genf.
Muller suchte einen Sponsor für ein ehrgeiziges Projekt: die Fertigung der kompliziertesten Armbanduhr auf der Basis dieses Werks. Einige Uhrenmanufakturen meldeten Interesse an, wünschten jedoch, dass die Uhr unter ihrem Namen präsentiert werden sollte. Doch Franck Muller wollte mit dieser Uhr seinen Durchbruch schaffen, und so sollte sein Name auf ihr verewigt werden.

Kapitel II: Franck Muller

Komplizierteste Uhr der Welt «Superbia Humanitatis»
In der ersten Ausbaustufe addierte Franck Muller 1992 einen ewigen Kalender auf der Zifferblattseite. Hinzu kam 1995 ein Tourbillon von Paul Gerber.

Den nötigen Sponsor fand Muller in Lord Arran, dessen eklektische Ansprüche für den Fortgang der Geschichte von entscheidender Bedeutung sein sollten. Gemeinsam mit Muller entschied er sich, das Werk mit einem ewigen Kalender mit retrograder Monats- und Äquationsanzeige, Wochentag, Datum, 24-Stunden-Indikation, Schaltjahreszyklusanzeige, Mondphase sowie Thermometer zu erweitern und in ein hochfeines Platingehäuse mit einem handguillochierten Zifferblatt einzukleiden. Mit nun 651 Teilen konnte sie erstmals als «komplizierteste Armbanduhr der Welt» auf der Basler Uhren- und Schmuckmesse 1992 präsentiert werden.
Für Franck Muller sollte sich die Mühe auszahlen: Er erlangte Bekanntheit und den Ruhm, den er anstrebte. Lord Arran hingegen war nun erst recht auf den Geschmack gekommen …
Mit der sich gerade erholenden Schweizer Uhrenindustrie bekam auch die Entwicklung von Komplikationsuhren neuen Schwung. Lord Arran erkannte daher folgerichtig, dass die Uhr im damaligen Ausbaustand recht bald überholt werden würde. Die Suche nach einem Uhrmacher, der es sich zutraute, das bisher Erreichte noch zu übertreffen, gestaltete sich jedoch als überraschend schwierig.

Kapitel III: Paul Gerber

Komplizierteste Uhr der Welt «Superbia Humanitatis»

Fündig wurde Lord Arran erst in Zürich, wo Meisteruhrmacher Paul Gerber sein Konstruktionsbüro betreibt. Gerber ist ein bescheidener, zurückhaltender Mann, der aber unglaublich enthusiastisch wird, wenn er über seine Entwicklungen spricht. Ein Meister der Miniaturisierung, der den fast nicht vorhandenen Raum für komplizierte Mechanismen nutzen kann. Gerber entwickelte die kleinste hölzerne Uhr der Welt und realisierte die erste retrograde Sekunde in einer Armbanduhr. Charakteristisch sind seine Armbanduhren mit automatischen Aufzügen, bei denen kleine Rotoren mit sich überschneidenden Radien die Energie liefern, oder die Realisierung der MIH-Uhr.
Paul Gerber ist der Mann, der es sich zutraute, zusammen mit Lord Arran die an sich schon hochkomplexe Armbanduhr noch außergewöhnlicher zu machen.
Der erste Schritt sollte ein Tourbillon sein, aber kein herkömmliches: Es sollte fliegend gelagert sein und außerdem die wunderschön ausgeführte originale Unruh weiterverwenden. Ein kleines Problem war, dass Paul Gerber bis dahin noch kein Tourbillon gefertigt hatte. Aber er hatte Erfahrung mit winzigsten Mechanismen, die sich auszahlen sollte.
Nach drei Jahren konnte Paul Gerber den neuen Superlativ in Basel präsentieren: Einmal mehr war diese Uhr mit nun 772 Bestandteilen die komplizierteste Armbanduhr der Welt und hatte zudem das kleinste fliegende Tourbillon der Welt.
Lord Arran hatte nach diesem erfolgreichen Umbau Blut geleckt, strebte nach einem noch größeren Abstand zu den anderen «Grande Complication»-Uhren und beauftragte Gerber mit der Implementierung eines Rattrapante-Chronographen mit Flyback-Schaltung. Außerdem sollten Gangreserveanzeigen sowohl für das Uhrwerk als auch für das Läutwerk installiert werden.
Lord Arran wünschte weiterhin, dass das schöne Gehäuse sowie das feine Zifferblatt weiterverwendet werden. Diese beiden zusätzlichen Komplikationen sollten die technischen Lösungen, die Paul Gerber fand, entscheidend beeinflussen.

Kapitel IV: Paul Gerber

Komplizierteste Uhr der Welt «Superbia Humanitatis»
Gut zu erkennen die beiden Schalträder – einmal konventionell, einmal als Achteck ausgeführt. Oben zu sehen die beiden Gangreserveanzeigen.

Weitere acht Jahre war Paul Gerber mit dieser Herausforderung beschäftigt. Mit all den Erweiterungen verfügt die Uhr nun über fünf zusätzliche Anzeigen und drei neue Drücker. Der Glasboden der Uhr lässt die ganze Komplexität des Werks sehen: Federhäuser, Repetitionshämmer, Tourbillon und Chronograph sind bei ihrer Arbeit zu beobachten.
Paul Gerber konstruierte die Mechanik in ein Werk hinein, in dem praktisch kein Platz frei war. 265 zusätzliche Werkteile mussten eingebaut werden, was zusammen mit den 79 Teilen des Gehäuses schließlich 1116 Bestandteile ergab. Das bedeutet, dass sich die Zahl der Teile im Zuge der Erweiterungen mehr als verdoppelte.
Nach der Vollendung wurde die Uhr im Jahr 2005 offiziell als komplizierteste Armbanduhr der Welt (gemessen an der Teilezahl) vom Guinness Book of World Records zertifiziert.
Doch dies ist nur ein Aspekt der Betrachtung. Für Paul Gerber beinhaltete die Modifikation der Uhr bzw. des Werks drei ganz besondere Herausforderungen. Es gab nämlich keine Konstruktionspläne vom Basiswerk und eigentlich überhaupt keinen Platz, um die geforderten Komplikationen unterzubringen; außerdem handelte es sich hier um ein unwiederbringliches Einzelstück, das keine Fehler beim Umbau zuließ.

Drei Herausforderungen

Uhrmacher sind zumeist in der komfortablen Situation, mit einem technisch gut dokumentierten Werk arbeiten zu können. Sie nehmen das technische Datenblatt und füttern damit ihr CAD-Programm, mit dessen Hilfe sie dann den gewünschten Mechanismus konstruieren können. Nicht notwendigerweise einfach, aber machbar.
Im Falle der Superbia Humanitatis sah sich Paul Gerber mit einem mehr als hundert Jahre alten Werk konfrontiert, zu dem jegliche Konstruktionszeichnungen oder anderweitige technische Dokumentationen fehlten. Paul Gerber musste das Werk daher auseinanderbauen und an einem Koordinatenmesstisch (Typ Hauser I) ausmessen, um an dessen wichtigste Referenzdaten wie Schnittstellen oder Montagepunkte zu gelangen. Die Präzision hier entschied über den Erfolg des ganzen Umbaus. Paul Gerber hatte dabei nicht nur exakt zu messen, sondern er musste auch die Ungenauigkeit des Messtisches in seine Konstruktionen einberechnen und Abweichungen aufgrund der vor über hundert Jahren üblichen anderen Techniken, Materialien und Toleranzen mitberücksichtigen. Mit anderen Worten, Paul Gerber musste über 100 Jahre des uhrmacherischen Fortschritts in Einklang bringen.
Zu der Zeit, als das ursprüngliche Werk konstruiert wurde, war eine weitere Aufwertung des Werks nicht vorgesehen – und auch kaum möglich. Dies ist eine ganz andere Ausgangssituation im Vergleich zu der, dass man eine «Ultrakomplikation» von Grund auf konstruieren möchte und entsprechende Vorkehrungen bzgl. Platz und Kraftbedarf treffen kann. Im vorliegenden Fall war nicht nur kein Platz vorhanden, sondern auf Wunsch von Lord Arran sollten auch das bestehende Gehäuse und das Zifferblatt weiterverwendet werden. Für Paul Gerber hieß dies, dass zu den ohnehin höchst beengten Platzverhältnissen zwei weitere Probleme hinzukamen: Beibehalten der Dimensionen des Werks und Platzierung der neuen Anzeigen, sodass sie zu den bestehenden passen.
Dies erforderte zum Teil recht unorthodoxe Problemlösungen. So wurden z. B. die Gangreserveanzeigen auf die Rückseite des Werks verlegt, und im Chronographenmechanismus verstecken sich ein paar ganz besondere Details: Zum einen ist der Minutenzähler des Chronographen konzentrisch mit der Kleinen Sekunde bei der «6» ausgeführt. Da der Chronograph 60 Minuten (und nicht die üblichen 30 oder 45) zählt, bot sich das Sekundenblatt mit seinen ebenfalls 60 Unterteilungen geradezu an, auch diese Indikation zu beherbergen.

Komplizierteste Uhr der Welt «Superbia Humanitatis»
Dass das handguillochierte Zifferblatt so symmetrisch und harmonisch erscheint, ist dem Talent des Konstrukteurs zu verdanken, der die Komponenten derart verschob, dass sich Zeigerachsen durch die entstandenen Lücken führen ließen.

Chronographen-Kybernetik

Dass der Minutenzähler in springender Ausführung realisiert wurde, ist jedoch ein technisch notwendiger mechanischer Leckerbissen: Das zentrale Element bei einem springenden Zähler ist eine Schneckenscheibe, durch die das Getriebe des springenden Minutenzählers in gewisser Weise Ähnlichkeit mit einer – für Paul Gerber typischen – retrograden Sekunde hat. Ein Hebel tastet die Schneckenscheibe ab, und nach 59 Sekunden fällt er sanft gefedert zurück und nutzt diese Energie, um den Minutenzähler präzise eine Position weiterzuschalten. Eine solche Implementierung hat ihren eigenen Charme: Ästhetisch ist es ein besonderes Vergnügen, dem Mechanismus beim Arbeiten zuzusehen. Für Gerber schien es zudem einfacher (und weniger kraftaufwendig), die nötige Kraft mit kleinen Hebeln als mit einer Serie von Rädern zu transportieren. Die Teile können kleiner ausgeführt werden, die Konstruktion braucht weniger Platz und kann flexibler positioniert werden und nicht zuletzt entstehen andere Reibungsverhältnisse.
Um sich ein Bild von den mikroskopischen Dimensionen beim Chronographen machen zu können, lohnt es sich, das neu zu fertigende Zentraltrieb zu betrachten, durch das zusätzlich die Achsen für die Chronographenzeiger geführt werden konnten. Dieses stellte sich als größte Herausforderung an Präzision auf kleinstem Maßstab dar. Schon bei einer einfachen Uhr trägt die zentrale Achse bereits das Zentralrad, das Zentralradtrieb, das Minutenrohr, den Minutenzeiger sowie das Stundenrad mit dem Stundenzeiger, im Falle einer Uhr mit Zentralsekunde auch das Sekundentrieb. Bei der einzigartigen Superbia Humanitatis jedoch trägt diese Achse zusätzlich die vier Auslösenocken für die viertelstündliche Schlagwerksteuerung sowie die Achse des Chronozentrumrades und des Schleppzeigerrades. Insgesamt sind es damit acht Teile. Zusammengesetzt erinnert die Zentralachse nun an ein Autogetriebe, wenn auch ein sehr kleines.
Die Achse des Chronozentrumrades und die Schleppzeigerachse sind Musterbeispiele für Präzisionsmaschinenbau: In die Achse des Chronozentrumrades, das einen Außendurchmesser von 0,5 mm aufweist und ein Durchgangsloch von 0,3 mm Durchmesser aufweisen muss, musste die Sekundenzeigerachse hineingebohrt werden.
Die Vorgabe, das Gehäuse auch weiterhin zu verwenden, diktierte einen besonders flachen Schleppzeigermechanismus. Das Schaltrad, das in hochwertigen Konstruktionen üblicherweise dafür Verwendung findet, ist als achteckige Schraubenmutter konstruiert, ähnlich dem berühmten Logo der britischen Automobilmanufaktur MG.
Doch auch ein Paul Gerber kann nicht zaubern, und so mussten ein neuer, erhöhter Gehäuseboden sowie ein neues, stärker gewölbtes Saphirglas angefertigt werden, da der Chronographenmechanismus dies erforderte. Er erhöhte das Werk um 2,6 mm auf zusammen 13,4 mm. Der Durchmesser des Werks blieb bei all den Modifikationen konstant bei 32 mm mit den Tonfedern bzw. 28,3 mm ohne sie.

Komplizierteste Uhr der Welt «Superbia Humanitatis»
Warum die Uhr «Stolz der Menschheit» heißt, liegt auf der Hand.
Komplizierteste Uhr der Welt «Superbia Humanitatis»
Der Schleppzeigermechanismus wurde völlig neu konstruiert und probehalber auf einer Platine vormontiert.
Komplizierteste Uhr der Welt «Superbia Humanitatis»
Die Brücken und das Räderwerk des Tourbillons (links im Bild) mussten so gestaltet werden, dass sie in und um das Repetitionswerk passten.

Jetzt bloß nicht zittern …

Die Tatsache, dass das Piguet-Werk ein unwiederbringliches Einzelstück war, lastete als schwere Bürde auf Paul Gerbers Schultern. Ein Fehler beim Ausfräsen und das Werk wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit für immer verloren. Sich seiner Verantwortung bewusst, tat er alles, um sicher zu sein, dass seine neuen Komplikationen gründlich getestet waren, bevor sie ihren Weg in das Werk fanden. Er vertraute nicht nur den CAD-Zeichnungen und seinen erfahrenen Händen, sondern tat etwas, das man aus der Automobilindustrie kennt: Modell- und Prototypenbau. Paul Gerber erstellte funktionale Dummy-Werksplatinen mit allen Referenzpunkten des Originalwerks und testete an diesen zum Beispiel den Chronographenmechanismus. Korrekturen und Modifikationen sowie Fehlerbeseitigungen konnten so «im Trockenen» durchgeführt und etliche Konstruktionsdetails perfektioniert werden. Oftmals handelte es dabei um feinste Modifikationen, wie es z. B. an den Hebeln des Chronographenmechanismus zu erkennen ist.
Erst wenn der Konstrukteur Paul Gerber mit einer Lösung zufrieden war, begann er mit dem verantwortungsvollsten Teil der Arbeit: dem Fräsen der Löcher für Platinen und Achsen. Jeder Fehler hätte das Werk zerstört, was schnell klar wird, wenn man z. B. die Brücken für den Tourbillonkäfig betrachtet, die das Tourbillon korrekt zum Rest des Gangwerks, aber präzise in und um das Getriebe der Minutenrepetition auf der Zifferblattseite platzieren.

Kapitel V: Paul Gerber

Die finale Vervollkommnung der Uhr wurde nicht mehr unter dem Patronat von Lord Arran, sondern auf Initiative des derzeitigen Besitzers Ralph Graf vorgenommen: Herr Graf wünschte sich eine Finissage, die Respekt vor dem Werk vergangener Meister zeigt und die Uhr damit zu einem technisch wie ästhetisch ganzheitlich erscheinenden Meisterwerk vollenden würde.
Gerber und Graf inspizierten die Einzelteile und entschieden, ob und wie im Einzelfall vorgegangen werden sollte. So wurden Schraubenköpfe neu hergestellt, Hebel poliert, Platinen perliert und angliert, Räder skelettiert und Speichen ebenfalls angliert. Selbst die Rückstellherzen des Chronographen wurden skelettiert. Der Perfektionist Paul Gerber wollte auch noch einen diamantenen Abschlussstein einsetzen.
Was sich nach einer simplen Modifikation anhört, entpuppte sich als größerer Eingriff: Der obere Teil des Tourbillonkäfigs musste komplett neu angefertigt werden, da der Durchmesser des Diamanten 0,3 mm größer war als der des bislang verwendeten Rubins.
Zur Vollendung gehörte auch eine speziell gefertigte Schatulle aus Eichenholz, die mit einem Schlüssel geöffnet werden kann. In dessen Griff sind die Worte «Per Ardua Ad Astra» («Durch Mühsal gelangt man zu den Sternen») eingraviert, was treffend die Genese der Uhr beschreibt. Auf dem Deckel der Schatulle ist eine vergoldete Platine montiert, in der die Liste der Komplikationen eingraviert ist. Ein besonderes Anliegen war es für Herrn Graf, der Uhr einen Namen zu geben, der ihren Anspruch und ihre Position in der Uhrenwelt versinnbildlicht: «Superbia Humanitatis», Lateinisch für «der Stolz der Menschheit».

Text: Dr. Magnus Bosse
Bilder: Dr. Magnus Bosse, Paul Gerber
Bildbearbeitung: Silvio Meier

Weitere Artikel über Paul Gerber: Die Micro-Mondphase

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