ENTWICKLUNG DES AUTOMATISCHEN AUFZUGS

III. Grosse und kleine Rotoren

1942 stellte der Rohwerkehersteller Felsa ein neues, nach einem Patent von A. Michel in Grenchen (Patentnummer 242659) hergestelltes Automatikkaliber mit einem in beide Drehrichtungen wirkendem Aufzugsrotor vor.

von Michael Ph. Horlbeck und Peter Braun

mit Bildern von Arne Psille und aus dem Archiv ARMBANDUHREN


Möglich wurde der beidseitige Aufzug durch den Einsatz eines erstaunlich einfachen Drehrichtungwandlers. Dieser Hebelwandler bestand bei der Felsa zunächst aus einem einfachen Zahnrad, welches auf einem frei schwenkbaren Hebel montiert wurde. Um ein völliges Ausklinken aus dem Kraftfluss zu vermeiden, war der Weg des Hebels begrenzt. Erst jetzt, 170 Jahre nach Perrelet, hatte die Uhrenindustrie den bereits einmal erreichten Stand der Technik wieder erreicht. In der Folge spaltete sich die Entwicklung der Rotor-Automatikkaliber in zwei Gruppen auf, die sich durch ihren einseitig oder beidseitig wirkenden Aufzug unterschieden.

Felsa beidseitige Automatik
Mit dem Kaliber 415 stellte Felsa 1942 die erste beidseitig wirksame Automatik vor.
Kaliber 382
Kaliber 382 der zweiten Generation, hier mit Punze des Patentinhabers A. Miches in Grenchen.
Wippenwechsler
Beim Kaliber 4007 wurde anstatt eines Hebelwechslers ein Wippenwechsler verwendet.

Felsa blieb dem Prinzip des Hebelwandlers bei den ersten drei „Bidynator“-Generationen treu. Erst bei der vierten Generation entschied man sich für federlose Zwillingsklinkenräder. Diese waren technisch ebenso einfach wie effektiv, bestanden sie doch aus massiven Zahnrädern, welche sich günstig herstellen ließen. Sie standen miteinander im ständigen Eingriff, der Kraftfluss wurde je nach Drehrichtung abwechselnd geschlossen. Das Prinzip wird heute wieder bei Nomos im „Tangomat“ verwendet.

Dennoch bestand weiterhin das Problem der starren Rotorachse mit dem Rotorlager als ausgewiesenem Schwachpunkt. Zum einen war die Reibung innerhalb des Lagers relativ hoch, was zu einer Minderung der Effektivität führte. Zum anderen neigten die vergleichsweise dünnen Lagerstifte auf Grund der großen Masse des Rotors häufig zum Brechen. Zwar konnte man die Reibung des Lagers durch den Einsatz von Rubinlagern reduzieren. Diese waren aber entsprechend empfindlich gegen Stöße, und zudem musste bei einem zerborstenen Stein das komplette Werk gereinigt werden.

Eterna Matic von Heinrich Stamm

Fünf Kugeln des Erfolgs

1948 debütierte die nächste Entwicklungsstufe der Automatik. Eterna-Entwicklungschef Heinrich Stamm hatte sich zum Ziel gesetzt, seiner ersten Rotorautomatik einen besonders hohen Wirkungsgrad mitzugeben, und suchte nach einem Weg, die Energieverluste innerhalb der Automatikgruppe zu minimieren. Stamm verwendete ein speziell entwickeltes Miniaturkugellager mit fünf nur 0,65 mm großen Stahlkugeln und löste mehrere Probleme auf einmal. Zum einen erhöhte er den Wirkungsgrad der Automatik nachhaltig, da ein Kugellager äußerst reibungsarm läuft und sich im Gegensatz zum Stiftlager kaum abnutzt. Durch das gleich bleibende Lagerspiel sinkt außerdem das Risiko ausgeschlagener Lager und ungewollter Kollisionen von Rotor und Werkplatine.

Neben dem Kugellager führte Eterna noch eine weitere technische Verbesserung ein: das federlose Klinkenrad. Um die Enerige des Rotors in beiden Drehrichtungen nutzen zu können, entwickelte Stamm einen funktionalen Drehrichtungswandler. Dieser bestand aus zwei auf einer Achse übereinander angeordneten Zahnrädern, deren Kraftfluss durch zwei bewegliche Klinken geschlossen wird. Dabei überträgt je nach Drehrichtung je eines die Energie des Rotors auf die Zugfeder, während das zweite frei läuft. Dieses kleine Doppelrad ist bis heute der effektivste Drehrichtungswandler mit dem geringsten toten Winkel (siehe weiter unten).

Die von Stamm entwickelte Kombination von kugelgelagertem Rotor und Klinkenrädern ist bis heute der Standard der Uhrenindustrie. Die Nachfolgekaliber 2824 und 2892 der ursprünglich für Eterna entwickelten Kugellagerautomaten sind die am meisten produzierten Kaliber des großen Uhrwerkproduzenten ETA, der einst aus der Spaltung der Firma Eterna entstand.

Alpina Kaliber 584 mit Hammeraufzug
Der Hammerautomat: Der "Rotor" vollführt keine ganze Umdrehung, sondern pendelt zwischen zwei gefederten Anschlägen hin und her (Alpina Kaliber 584).

Alternativen: Flacher, kleiner, effektiver

Neben diesen bisher beschriebenen, als wegweisend geltenden Erfindungen ist die Geschichte der automatischen Armbanduhr reich an unterschiedlichsten alternativen Erfindungen und Entwicklungen, deren Geschichte nicht minder interessant ist, die sich jedoch als Weg in die falsche Richtung erwiesen. Oftmals war Konkurrenzdruck der auslösende Faktor, doch die meisten entstanden aus der Not, bestehende Patente zu umgehen. Ohne das rätselhafte Verschwinden der Perrelet Perpetual hätte manche „neue“ Erfindung wie z.B. der beidseitig aufziehende Rotor nicht patentiert werden können, die Entwicklung der automatischen Armbanduhr wäre vielleicht anders verlaufen. So aber waren die verschiedenen Hersteller gezwungen eigene Konzepte zu entwickeln, um gegen die etablierte Konkurrenz bestehen zu können.

Einer der Pioniere der extraflachen Automatik war die in Biel ansässige Firma Pierce. Bereits 1933 erhielt sie das erste Patent für eine Automatik, deren Schwungmasse sich linear hin und her bewegte. Dabei schob eine Zahnstange das Räderwerk der Automatik weiter. Durch die Verwendung eines kleinen Damenuhrwerks als Basis war das Automatikkaliber 861 kaum größer als ein normales Handaufzugkaliber für eine Herrenuhr. Trotz des eher ungewöhnlichen Konzepts erzielte Pierce annehmbare Aufzugswerte. Die Idee eines linear wirkenden Aufzuggewichts wurde jüngst bei der TAG Heuer V4 wieder aufgegriffen.

Ein weiterer Ansatz zu einer extraflachen Automatik kam von der Firma Büren Watch. Ihr Kaliber 525 nutzte als Schwungmasse ein speziell gelagertes Pendel mit nur 15° Schwingweite. Dennoch erzielte auch diese Lösung beachtliche Aufzugswerte. Der Aufzugleistung eines Rotors waren die Pendel dennoch weit unterlegen. Deshalb suchte man eine zuverlässige Lösung zur Reduzierung der Werkhöhe.

Der Mikrorotor

Am 18. Februar 1958 stellten die beiden Unternehmen Büren und Universal Genève auf einer gemeinsamen Pressekonferenz eine neuartige Lösung vor: den Mikrorotor, auch als Planetenrotor bezeichnet.

Dieser einträchtigen Pressekonferenz waren heftige juristische Auseinandersetzungen vorausgegangen. Universal sah sich als Erfinder des Mikrorotors. Das neu entwickelte Kaliber 215 mit einem kleinen, in das Werk integrierten Rotor löste das Problem der Bauhöhe. Den dafür benötigten Platz schuf man durch die Verwendung eines kleineren Federhauses, sowie einer kleineren Unruh. 1957 ließ sich Universal das neue Automatikkonzept patentieren (Patent Nr. 329805). Dummerweise wurde bei der Entwicklung und dem Einreichen des Patents übersehen, dass die Büren Watch Company elf Monate zuvor bereits ein Patent (Nr. 329804) auf den Mikrorotor erhalten hatte. Damit Universal das Kaliber 215 vermarkten konnte, einigte man sich mit Büren darauf, für jedes produzierte Werk eine Lizenzgebühr von 4 Franken zu bezahlen.

Unter der Leitung von Hans Kocher hatte Büren 1955 die technischen Grundlagen für das Konzept des Mikrorotors geschaffen, bei dem die Aufzugsautomatik auf der Basisplatine in einer Ebene mit dem Räderwerk montiert ist. Aus technischer Sicht stellt der Mikrorotor eine interessante Alternative zum klassischen Zentralrotor dar. Da die Schwungmasse voll ins Werk integriert ist, kann jede einzelne Baugruppe in voller Höhe ausgeführt werden. Allerdings hat die Größe des verwendeten Rotors Auswirkungen auf die Dimension von Federhaus und Unruh, und wegen der geringeren bewegten Masse des Rotors erzielt man eine wesentlich geringere Aufzugsleistung. Dass die von Büren entwickelten „Super Slender“-Kaliber dennoch gute Gangwerte lieferten lässt sich daran erkennen, dass sie später als Basis eines Chronographenmoduls dienten.

Büren Kaliber 1006 Urtyp aller Planetenrotor-Automaten
Büren Kaliber 1006, der Urtyp aller Planetenrotor-Automaten.
Longines Kaliber 345 mit großem, exzentrisch angeordneten Rotor
Longines Kaliber 345 mit großem, exzentrisch angeordneten Rotor.

Gemeinsam schlossen beide Firmen mit der in La Côte-aux-Fees ansässigen Complication SA einen Lizenzvertrag ab. Gegen die unglaubliche Summe von 65 Schweizer Franken – der zu diesem Zeitpunkt höchsten jemals gezahlten Lizenzgebühr – war es dem Unternehmen erlaubt, ebenfalls einen Mikrorotor für ein neu entwickeltes Kaliber zu benutzen. So konnte Piaget 1959 sein Kaliber 12P mit Planetenrotor vorstellen, das mit einer Bauhöhe von nur 2,3 mm für die nächsten zwanzig Jahre das mit Abstand flachste Automatikwerk bleiben sollte. Ein massiver Goldrotor sorgte beim 12P trotz der flachen Bauweise für die notwendige Energie. Um Lagerschäden am vergleichsweise schweren Planetenrotor zu vermeiden, wurde dieser unter einer Brücke beidseitig gelagert.

Microrotor-Kaliber von Universal Geneve konnte erst nach Einigung mit Büren vermarktet werden
Das «Microrotor-Kaliber» von Universal Geneve konnte erst nach Einigung mit Büren vermarktet werden.
Das nur 2,4 Millimeter hohe Piaget Kaliber 12P mit Gold-Mikrorotor
Das nur 2,4 Millimeter hohe Piaget Kaliber 12P mit Gold-Mikrorotor war lange Zeit Rekordhalter unter den Mikrorotoren.

Eine weitere ungewöhnliche Lösung präsentierte der Rohwerkehersteller Fontainemelon (FHF). Das extrem flache Kaliber 65 verfügte über einen achslosen Rotor, der wie ein Ring umlaufend auf Stahl- oder Rubinkugeln gelagert war. Dennoch erwies sich der konstruktionsbedingt hohe Reibungswiderstand des Rotors als kritischer Faktor mit negativen Auswirkungen auf die Effizienz. Um dennoch eine halbwegs akzeptable Aufzugsleistung zu erhalten, entschied FHF, den von Felsa eingeführten Hebelwandler zu integrieren, damit der Rotor beidseitig aufzog. Neben FHF entwickelte auch die japanische Firma Citizen eine nicht sehr erfolgreiche Kaliberfamilie mit Ringrotor, und jüngst wurde das Konzept auch von der Manufaktur Carl F. Bucherer wieder aufgegriffen.

Um Bauhöhe zu sparen entwickelte Longines einen dezentral angeordneten Rotor, welcher seine Drehenergie mittels eines unterhalb der Schwungmasse befindlichen innenverzahnten Rings an das Aufzugsgetriebe weitergibt. Die 1962 vorgestellten Kaliber 340 (Zentralsekunde) und 350 (kleine Sekunde) zählen zu den technisch aufwendigsten Automatikkalibern der Manufaktur.

Aber auch bei den normalen Zentralrotor-Automaten wurde die Bauhöhe kontinuierlich verringert. So stellte Eterna 1962 das Kaliber 3000 vor, bei dem die Bauhöhe nur noch 3,6 mm betrug. Zu dieser Zeit war es somit das flachste Kaliber mit Rotoraufzug in beiden Richtungen.

Das bis heute flachste Automatikwerk mit Zentralrotor ist jedoch das 1978 von der Firma Lassalle vorgestellte Kaliber 2000, bei dem die Konstrukteure an die Grenze des Machbaren gingen, um eine Gesamthöhe von nur 2,08 mm zu erzielen. Möglich wurde dies durch den Verzicht auf Brücken: Sämtliche Räder sind einseitig in Mikrokugellagern gelagert. Anker und Unruh verfügten zwar über eine hauchdünne Brücke, aber die Stoßsicherung fiel dem Rotstift zum Opfer. Interessanterweise handelte es sich bei dem Kaliber 2000 um eine modulare Konstruktion, welche auch als Handaufzug – bei einer Höhe von nur 1,2 mm – verwendet werden konnte. 1983 werden die Restbestände von Piaget erworben und als Kaliber 25P weiterverwendet.


Teil 1 der Serie: Taschenuhren mit Selbstaufzug

Teil 2 der Serie: Harwood und Rolex

Teil 4 der Serie: Es lebe der Zentralrotor

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