Uhrenkonzept Certina DS+

Wie es euch gefällt

Juni 2023. Normalerweise stellen wir hier zwei vergleichbare Uhren gegenüber. Dieses Mal sind es zwei Baukästen, aus denen sich jeweils vier Uhren gestalten lassen. So viel(e) Uhr(en) fürs Geld findet man selten.
certina DS+ Kit
Legt man die Elemente des Kits auf den Tisch, geht alles recht eng zusammen.

Das gab es an dieser Stelle noch nie – eine «Probezeit» mit nur einer Uhr. Wobei das eigentlich nicht stimmt, denn es ist eine «Probezeit» mit ganz vielen Uhren. Schließlich ist die Certina DS+ ein Baukastensystem, das aus verschiedenen Komponenten besteht, die sich beliebig kombinieren lassen. Certina bietet drei Uhrwerkcontainer mit unterschiedlichen Zifferblättern an, dazu sechs verschiedene Gehäuse, in die sich die Container einklipsen lassen, sowie acht verschiedene Bänder. So weit der Stand bei Redaktionsschluss. All diese Komponenten lassen sich in einem Online-Konfigurator zu einer Wunschuhr zusammenstellen. Nach Adam Riese und Eva Zwerg kommt man da auf 144 Varianten.

Um den Kunden die Entscheidung zu erleichtern und das System auch für den Handel handhabbar zu machen, entschied man sich bei Certina klugerweise dazu, drei vorkonfigurierte Kits bereitzustellen. Das erste ist mit «Sport & Urban» bezeichnet und kostet 1080 Euro. Im Zentrum steht der Container mit opalweißem Zifferblatt, dazu kommen ein glattes rundes 40-Millimeter-Edelstahlgehäuse (Legierung 316L) sowie ein 41 Millimeter großes Bicolorgehäuse (Stahl mit goldfarben PVD-beschichteter Lünette samt sechs Lünettenschrauben). Getragen wird die Uhr entweder an einem dunkelbraunen Kalbslederband mit Dornschließe oder einem Milanaiseband mit Doppelfaltschließe.

Das zweite Kit «Urban & Heritage» (1055 Euro) kommt mit einem schwarzen Zifferblatt, einem runden 40-Millimeter-Bicolorgehäuse mit glatter Lünette, einem kissenförmigen Edelstahlgehäuse (43,4 x 45 mm, mit vier Schrauben auf der Oberseite), einem Stahlgliederband und einem blauen NATO-Band mit Dornschließe.

Das schwarze Zifferblatt ist tagsüber zweifelsohne am besten abzulesen. In der Dunkelheit hilft bei allen Varianten die Leuchtmasse Super-Luminova, mit der Zeiger und Indexe ausgelegt sind.

Das dritte Kit schließlich heißt «Aqua & Sport», kostet 1090 Euro und kommt mit einem dunkelblauen Zifferblatt, einem Tauchergehäuse mit einseitig drehbarer Lünette samt Aluminium-Inlay sowie dem «Sport»-Gehäuse mit den sechs Lünettenschrauben. Dieses unterscheidet sich jedoch von dem oben beschriebenen Gehäuse darin, dass hier auch die Lünette aus poliertem Edelstahl besteht. Zum Lieferumfang gehören das erwähnte Stahlgliederband sowie ein graues Textilband mit Dornschließe.

Um den «Probezeit»-Charakter zumindest halbwegs beizubehalten, haben wir uns auf die beiden erstgenannten Kits beschränkt.

ERSTER EINDRUCK

Martin Häußermann: Das war das größte Paket, das ich in der inzwischen langen «Probezeit»-Geschichte je erhalten habe. Kein Wunder, schließlich lieferte uns Certina die Testuhren in denselben Displays, wie sie nachher auch an die Händler geliefert werden. Sie bestehen aus recycelten Kartonagen, wirken aber keineswegs minderwertig. Löst man ein kleines Gummi, lässt sich der schräg geschnittene Deckel aufklappen. Dann erkennt man auch sofort die Hierarchie: oben der Uhrwerkcontainer, den Certina entgegen aller Gepflogenheiten als «Uhrenkopf» bezeichnet, links darunter die beiden Gehäuse und unten eine Schublade, in der die Bänder untergebracht sind. Mitgeliefert wird außerdem noch ein Reiseetui aus Filz. Und es gibt noch Platz für zwei weitere Gehäuse und mindestens noch ein Band, wenn einem die Auswahl nicht reicht. Irgendwie hat das was von einem Überraschungsei für große Kinder. Ganz neu, wie Certina das behauptet, ist diese Idee aber nicht. Ich kann mich zumindest an ein ähnliches System erinnern, das die von Heinz W. Pfeifer gegründete Marke B. Junge & Söhne verkauft hat. Das hieß «Modular» und war ziemlich aufwendig in der Fertigung. Es bestand ebenfalls aus einem Uhrwerkcontainer und einem frei wählbaren Gehäusemittelteil. Zusammengehalten wurde es von einer aufgeschraubten Lünette oben und einem Spannring unten.

Peter Braun: Das System der Containeruhr ist tatsächlich nicht neu. Auch Heinz Pfeifer war hier nicht der Erste. In meiner Erinnerung hatte schon Fortis in den 1970er Jahren einen Uhrwerkcontainer zum Einklipsen in verschiedene Trägergehäuse mit austauschbaren Lünetten angeboten. Die Fortis Flipper nahm so den Trend zu bunten Plastikuhren wie der Swatch um Jahrzehnte vorweg. Die Wandlungsfähigkeit einer Uhr beschäftigt seither allerdings eher die Hersteller von Damen-Schmuckuhren mit Wechsellünetten. Dennoch ist das neue Certina-Konzept DS+ in meinen Augen etwas Besonderes, denn es basiert auf den Zutaten zu einer qualitativ anspruchsvollen Edelstahluhr mit moderner Automatik-Uhrwerktechnik, sauber verarbeitet und mit einem Sortiment hochwertiger Armbänder. Und diese Zutaten lassen sich alle beliebig miteinander kombinieren, quasi im Handumdrehen, ohne Werkzeug.

certina ds+
Bevor das Gehäuse mit dem Container zusammengebracht wird, sollten beide Kronen vollständig aufgeschraubt bzw. gezogen sein

TRAGEGEFÜHL, BEDIENUNG, ABLESBARKEIT

PB: Der Schlüssel zu dieser Vielseitigkeit liegt in der Konstruktion des Uhrwerkcontainers. Warum Certina diesen «Uhrenkopf» nennt, verstehe ich auch nicht. Üblicherweise bezeichnet man so das komplette Gehäuse samt Bandanstößen. Letztere bilden hier aber eine separate Komponente des DS+- Puzzles und fungieren als Träger für die Uhrwerk-Zifferblatt-Einheit, die in einem beidseitig saphirverglasten und bis 200 Meter wasserdichten Container verpackt ist. Enge Toleranzen und ein ausgeklügeltes Profil mit einem grünen Setzring aus biobasiertem Kunststoff sorgen für einen sicheren Sitz des Containers im Uhrenkopf, wo er mit einer Rändelschraube an der linken Gehäuseflanke und der verschraubbaren Aufzugskrone sicher arretiert wird – zweifach, denn «DS» steht ja für «Double Security». Die Armbänder lassen sich dank der Schieberiegel-Federstege ohne Werkzeug montieren und wieder abnehmen.

MH: Mir gefällt das gesamte Handling des Systems. Anfangs hatte ich ein wenig Angst, ich würde beim Zusammensetzen oder Trennen von Container und Gehäuse etwas kaputt machen. Aber diese Angst legt sich schnell: Wer die Aufzugswelle sauber in die vorgesehene Nut einfädelt, kann eigentlich nichts mehr falsch machen. Die vom Kollegen beschriebenen engen Toleranzen begründen einfach einen gewissen Kraftaufwand. Dafür hält die Kombination dann aber auch bombenfest, sobald beide Kronen wieder zugedreht sind. Da wackelt und klappert nichts. Schön wäre es jedoch, wenn auch gleich noch ein Mikrofasertuch oder Handschuhe beigelegt wären. Denn bei jedem (De-)Montagevorgang gibt’s Fingerabdrücke auf Gläsern und den hochglanzpolierten Gehäusen. Bei den Schieberiegel-Federstegen ist peinlich darauf zu achten, dass der Riegel nach Montage wieder ganz außen steht, denn nur dann ist das Band sicher montiert. Das gilt aber nicht nur bei Certina, sondern bei allen, die dieses praktische und dazu noch kostengünstige Wechselsystem einsetzen.

Ganz ohne Werkzeug geht es am Ende aber doch nicht, sofern man eines der beiden Stahlbänder nutzen will. Denn sowohl beim Milanaiseband als auch beim Gliederband ist eine Längenanpassung nur mit geeignetem Uhrmacherwerkzeug möglich. Aus diesem Grund habe ich auch nur das Leder- und das NATO-Band ausprobiert. Mit beiden saß die Uhr sauber am Handgelenk. Die anfangs vermutete Kopflastigkeit habe ich nicht festgestellt. Das opalweiße Zifferblatt wirkt zwar sehr elegant, doch ist das kontrastreiche schwarze Zifferblatt mit weißen Zeigern und Indexen natürlicherweise deutlich besser abzulesen.

Von hinten sind sie alle gleich: Die DS+ wird von einem undekorierten ETA Powermatic 80 angetrieben

TECHNIK & AUSSTATTUNG

PB: Technisch erscheinen die Uhrenkits auf der Höhe der Zeit und absolut alltagstauglich. Die Innengehäuse mit 37,4 Millimeter Durchmesser sind bis 200 Meter wasserdicht und verfügen über entspiegeltes Saphirglas, eine verschraubte Krone sowie einen Glasboden. Als Uhrwerk nutzt Certina das ETA Kaliber Powermatic 80.611 mit 80 Stunden Gangreserve und magnetfeldresistenter Nivachron-Spirale. Ein grundsolides Automatikwerk also, das gute Gangleistungen ermöglicht.

MH: Tatsächlich haben wir dieses Mal aus Fairness-Gründen auf eine Gangprüfung verzichtet, denn aus Zeitgründen konnten die Kits vor unserem Test nicht nochmals von einem Uhrmacher der Swatch Group geprüft werden. Doch hatten wir auch schon einmal eine Certina mit dem Kaliber Powermatic 80.611 hier im Test, und das schlug sich sehr achtbar. Damals ermittelten wir auf unserer Witschi-Zeitwaage einen durchschnittlichen Vorgang von 1,6 Sekunden am Tag (s/d), allerdings mit ausgeprägten Lagendifferenzen. So lässt sich erklären, dass die Uhr an den Armen der Tester mit +4 s/d bzw. +5 s/d lief. Ein ähnliches Ergebnis wäre wohl auch hier zu erwarten gewesen. Auch wenn das Uhrwerk bis auf den beschrifteten Rotor keine Dekoration aufweist, freue ich mich, dass unsere Testuhren mit einem Glasboden ausgestattet sind. Schließlich zeigt man ja gerne, dass man eine Automatik trägt – und die schwimmtaugliche Wasserdichtheit bleibt dennoch gewährleistet.

FAZIT

MH: Da freut sich das Kind im Manne. Die Certina-Kits sind mehr als eine Spielerei, vielmehr eine günstige Gelegenheit, seiner Uhrenleidenschaft zu frönen. Die Preise sind sehr kompetitiv. Und jeder kann genau die Kombination aus allen Komponenten wählen, die ihm am besten gefällt. Ich würde jedenfalls keines unserer beiden Kits nehmen, denn die Bicolorgehäuse sind nicht nach meinem Geschmack. Am besten gefällt mir noch das «Sport & Urban»-Kit, dann aber bitte mit schwarzem Zifferblatt.

PB: Mit den zwei Kits mit einem weißen und einem schwarzen Zifferblatt-Werk-Container und vier verschiedenen Gehäusen konnte man ja allerhand anstellen. Der erste Abend mit den Uhren verlief im Freundeskreis recht fröhlich. So richtig schräge Uhren konnte man aber gar nicht zusammenstellen, deshalb ein Lob an die Certina-Designer, die solcherlei Schabernack wohl vorausgeahnt haben. Und auch gleich eine Kritik an die Certina-Verkäufer, die die Kits offenbar absichtlich so zusammenstellen, dass man keine zwei gleichermaßen gut aussehende Lieblingsuhren damit bauen kann. Ich hätte in den sauren Apfel beißen und mir noch ein zusätzliches Gehäuse kaufen müssen. Na ja, dann hätte ich am Ende knapp 1200 Euro hingeblättert – für zwei Uhren mit zwei Bändern dennoch ein faires Angebot.

Text: Peter Braun, Martin Häußermann

Bilder: Martin Häußermann

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