Marinechronometer

Schiff ahoi!

Februar 2024. Uhren spielten bei der Eroberung der Weltmeere eine wichtige Rolle. Was das mit den Längengraden und der genauen Uhrzeit zu tun hat, zeigt die Geschichte von Marinechronometern, wie Wempe sie bis heute baut.
Wempe Marine Chronometer Cube by Tim Heywood.

Wer eine Uhr trägt, die offiziell als Chronometer zertifiziert ist, kann auf ihre Präzision stolz sein. Doch wer denkt, er begibt sich mit seiner Uhr an Bord eines Schiffes und es wird daraus ein Marinechronometer, der irrt. Nicht nur, weil Letzteres den «gewöhnlichen» Chronometern eine beeindruckende Präzision voraushat, sondern auch was Herstellung, Prüfung und Einsatz betrifft. Chronometer in der Seefahrt haben übrigens kein Geschlecht: Man sagt «das Chronometer».

Seine Entwicklung beeinflusste nicht nur die Geschichte des Uhrmacherhandwerks, sondern auch die Seefahrt. Denn erst mit der Entwicklung besonders präziser Uhren, deren Werke speziell gegen Stöße und Lagenveränderungen gesichert waren, konnten Seeleute die Weltmeere erobern. Neben der Präzision und Widerstandsfähigkeit haben Marinechronometer übrigens ein weiteres Merkmal: Sie konzentrieren sich ganz auf die Darstellung der Uhrzeit und der Gangreserve. Letzteres, damit das Stehenbleiben der Uhr möglichst vermieden und man an das regelmäßige Aufziehen des Uhrwerks erinnert wird.

Der Zweck von Marinechronometern ist einzig die Orientierung auf dem Wasser. Bis zur Erfindung der modernen Navigation mithilfe von GPS waren die überaus genauen Uhren für die Navigation unverzichtbar. Das zeigen Zahlen, die Autor Manfred Lux in «Alte Uhren und moderne Zeitmessung» nennt. Demnach hatten 1877 insgesamt 1725 Segelschiffe und 132 Dampfschiffe ein Chronometer an Bord; bei 44 Schiffen der Kaiserlichen Marine waren es jeweils drei solcher Zeitmesser.

In Deutschland sollten hier deutsche Produkte zum Einsatz kommen. Lange Zeit waren englische und französische Uhrmacher in der Fertigung der Schiffschronometer führend gewesen. Das sollte das «deutsche Chronometer» ändern, dessen Entwicklung staatlich gefördert wurde. 1898 legte man fest, welche Kriterien für einen solchen Zeitmesser gelten sollten und welche Qualifikationen ein Chronometermacher haben müsse. Zu der Zeit gab es den historischen «Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie» zufolge rund 70 deutsche Chronometermacher.

Der Wempe Marine Chronometer Cube by Tim Heywood ist kardanisch aufgehängt; rechts der Blick auf das neu konstruierte Wempe-Uhrwerk. Preis: 49.750 Euro

ZENTREN IN GLASHÜTTE UND HAMBURG

Ab 1895 brillierten Glashütter Spezialisten mit ihren präzisen Zeitmessern. Dort konzentrierte sich die Fabrikation von Chronometern bei A. Lange & Söhne. Auch die Hamburger Chronometerwerke, 1905 von Bremer und Hamburger Reedern gegründet, waren unter der Leitung von Uhrmacher Ferdinand Denker erfolgreich. Das Unternehmen wurde 1938 von Herbert Wempe übernommen.

Vor dem Zweiten Weltkrieg nahmen laut Manfred Lux nur noch die Firmen A. Lange & Söhne aus Glashütte, die Hamburger Wempe Chronometerwerke sowie der Uhrmacher Franz Lidecke aus Geestemünde und F.N. Tietz aus Kiel an Chronometerwettbewerben teil. An der Fertigung des offiziellen deutschen Einheitschronometers mit genormten Komponenten beteiligten sich ab 1942 nur noch acht Firmen. Der Aufbau dieses Chronometers war vereinfacht und das Gehäuse bestand in der Regel aus korrosionsbeständigem Kunststoff. Weiteres Merkmal des Einheitschronometers waren drei statt zuvor vier Pfeiler zwischen oberer und unterer Platine. Nach dem Krieg gelangten die technischen Zeichnungen sowie restliche Rohwerke in die Sowjetunion, wo letzten Endes eine Chronometerproduktion aufgebaut wurde. Marinechronometer, die bis heute dort gefertigt werden, gehen noch immer auf das deutsche Einheitschronometer zurück.

Die Geschichte der Marinechronometer

In der Chronometerprüfstelle von Wempe gaben bis in die 1970er Jahre Präzisionspendeluhren die Zeit vor, zudem erhielt man ein Zeitsignal.

In alten Zeiten war eine Fahrt übers Meer mit vielen Unsicherheiten verbunden, denn eine exakte Navigation war nicht möglich. Zwar konnte man sich an der Sonne oder einem Fixstern orientieren und mithilfe eines Astrolabiums oder eines Sextanten entlang der geografischen Breite bleiben. Für eine exakte Navigation in Ost-West-Richtung aber musste auch die geografische Länge bestimmt werden, was über Jahrhunderte nicht gelang. Erst die hochpräzise Zeitmessung brachte die Lösung des Problems, denn die sekundengenaue Anzeige der Uhrzeit im Heimathafen ermöglichte durch den Vergleich mit dem aktuellen Sonnenhöchststand auf dem Meer die Berechnung der geografischen Länge der eigenen Position. Diese genaue Zeitmessung gelang dem Engländer John Harrison 1759 mit seiner eineinhalb Kilogramm schweren Taschenuhr H4, die selbst nach mehr als 80 bisweilen stürmischen Tagen auf See nur eine Zeitabweichung von fünf Sekunden aufwies.

In Deutschland sind einzig und allein die Wempe Chronometerwerke Hamburg als Teil von Juwelier Wempe der Fertigung von Marinechronometern treu geblieben. Bis heute werden hier Schiffsuhren und Instrumente für die professionelle Schifffahrt und Hobby-Seefahrer gefertigt, seit 2010 sogar Uhrenanlagen für Kreuzfahrtschiffe. Für die Reputation steht, dass Wempe in den 1970er Jahren gar eine der fünf offiziellen Prüfstellen des Deutschen Hydrographischen Instituts für Marinechronometer war. Dort hatte man viel zu tun, denn gemäß den Unfallverhütungsvorschriften der See-Berufsgenossenschaft mussten Chronometer alle drei Jahre oder nach einer größeren Havarie von einem anerkannten Chronometermacher gereinigt, überholt und der Gang überprüft werden. Die See-Berufsgenossenschaft war es darüber hinaus auch, die entschied, wer als Chronometermacher zu gelassen war. Bei Wempe waren bis zu sechs Uhrmacher entsprechend anerkannt.

Rechts: Wempe Marine Chronometer Cube by Tim Heywood. Links: Der Marine Chronometer Coco de Mer by Tim Heywood kann in einem Gehäuse aus vergoldetem Messing und Spezialverbundstoff aufbewahrt werden. Der Zeitmesser ist auf 50 Stück limitiert und kostet 79.500 Euro.

Das Handwerk bewahren

Obwohl die Pflicht zur Verwendung von Marinechronometern in der Seefahrt inzwischen der Vergangenheit angehört, werden solche präzisen Uhren bei Wempe noch immer gefertigt. «Wir haben uns entschieden, die Herstellung fortzusetzen, um das Handwerk und das Know-how zu bewahren», sagt Carsten Petersen. Er ist bei Wempe als Kurator für das firmeneigene Museum zuständig und Brand Manager von Wempe Glashütte.

Denn dort werden die Marinechronometer mittlerweile gefertigt, nachdem das Basiswerk des Einheitschronometers «Typ 05» neu konstruiert und an moderne Fertigungstechniken angeglichen wurde. Ausgehend von Plänen für die Grundkonstruktion aus den 1930er Jahren wurde die gesamte Mechanik neu berechnet – «denn es hatten sich Fehler eingeschlichen und viele Details haben nicht mehr zusammengepasst», berichtet Gunter Teuscher, Geschäftsführer der Wempe Chronometerwerke Glashütte.

Die genaue Zeitmessung

Marinechronometer erhalten ihre Präzision durch verschiedene Details. Dazu gehört die Chronometerhemmung, eine im 18. Jahrhundert erfundene und immer wieder verbesserte Konstruktion. Dabei handelt es sich um eine freie Hemmung: Nur bei jeder zweiten Halbschwingung ergeht direkt vom Hemmungsrad ein Antriebsimpuls an den Gangregler, die Unruh. Das ist anders als bei den in Armbanduhren gebräuchlichen Ankerhemmungen, da bei jeder Halbschwingung ein Impuls weitergegeben wird. Gelöst werden musste auch die Auswirkung wechselnder Temperaturen auf die Spirale. Dies erfolgte durch die Kompensationsunruh, deren Unruhreif mit justierbaren Masseschrauben versehen ist. Temperaturstabile Materialien wie Nickelstahl und später Stahl brachten dann noch mehr Genauigkeit. Bei deutschen Marinechronometern war zudem eine Kraftübertragung mit Schnecke und Kette vorgeschrieben.

Eine große Herausforderung ist laut Teuscher die Fertigung der Kette: «Nur das System der Zugkraftregulierung mittels Kette und Schnecke hat die Präzision mit einer Gangabweichung von maximal 0,3 Sekunden pro Tag ermöglicht.» Selbst beim Material griff man auf Bewährtes zurück und entschied sich etwa für eine Stahlspirale. Aus folgendem Grund: «Erstaunlicherweise ließ sich das Werk mit den modernen temperaturunabhängigen Materialien gar nicht betreiben», beschreibt Teuscher und sagt weiter: «Warum, da sind wir selbst etwas ratlos. Wir gehen davon aus, dass eine gewisse Temperaturschwankung zur Funktionsfähigkeit beiträgt.» Vier Jahre lang dauerte die Arbeit an dem neuen Marinechronometer-Werk, das nun ansprechend inszeniert wurde. Dafür holte sich Wempe die Unterstützung des britischen Schiffsdesigners Tim Heywood, der Gehäuse und Holzkuben für zwei außergewöhnliche Marinechronometer entwarf. Bei aller dekorativen Wirkung ist Carsten Petersen aber eines wichtig: «Die neuen Uhren sollen tatsächlich an Bord eines Schiffes gehen», erklärt der Wempe-Mitarbeiter. «Denn sie besitzen die erforderliche Präzision, die man zur echten Navigation benötigt.»

Text: Iris Wimmer-Olbort

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