Jean-Claude Biver

Diener dreier Herren

Jean-Claude Biver kümmert sich als Uhren-Verantwortlicher des LVMH-Konzerns um die Entwicklung und teilweise Neuausrichtung von drei profilierten Uhrenmarken, die verschiedener nicht sein könnten: Hublot, TAG Heuer und Zenith, drei echte Manufakturen mit eigener Geschichte. Wie kann ein Manager drei so unterschiedlichen Firmen gerecht werden?
TAG Heuer, Hublot, Zenith
Jean-Claude Biver, verantwortlich für den Uhrensektor der LVMH-Gruppe

Herr Biver, wie weit darf man bei der Neuausrichtung einer Firma gehen?

Das hängt davon ab, wie viel Respekt Sie einer Firma entgegenbringen. Das Minimum an Respekt, das Sie einer Firma entgegenbringen sollten, besteht darin, sich mit ihrer Geschichte zu befassen. Dann werden Sie sehr schnell erkennen, dass bei einer Modernisierung eben nicht alles erlaubt ist.

Wir erleben doch leider täglich, wie sich neue Herren auf Kosten ihrer alten Firmen profilieren wollen …

Das ist in meinen Augen ein eklatanter Mangel an Respekt. Man kann eine Marke nur zu etwas entwickeln, was bereits in ihr steckt. Wenn man die Botschaft der Marke gut verstanden hat, darf man sich durchaus Freiheiten bei der Entwicklung nehmen. Aber nach der Entwicklung muss die Marke in ihren Grundzügen noch immer erkennbar sein.
Ich lasse mir sehr viel Zeit dabei, mich mit der Geschichte der Marke auseinanderzusetzen und sie zu verstehen. Manchmal glaubt man, eine Marke zu kennen. Aber hier geht es ums Verstehen, und zwar nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart. Man muss verstehen, warum die Marke da steht, wo sie steht, und wie sie dahin gekommen ist. Da ist kein Platz für Sentimentalitäten. Man muss sauber analysieren und Fehler als solche erkennen. Dann kann man anfangen, mit der Marke zu arbeiten.

Sie sprachen von der Botschaft einer Marke …

Nehmen wir einmal TAG Heuer als Beispiel. Als ich die Mitarbeiter fragte, was die Botschaft ihrer Marke sei, konnten sie mir kaum eine befriedigende Antwort geben. Ich musste sie daran erinnern, dass es zwei ganz wichtige Botschaften in der Geschichte der Marke gab. Zum einen war TAG Heuer schon immer Avantgarde – Heuer in technischer Hinsicht und TAG in den siebziger und achtziger Jahren im Design. Zum anderen war da noch der Preis: Die Marke hatte begonnen, ihr angestammtes Preisumfeld zu verlassen. TAG Heuer war nie in der obersten Luxuskategorie! Also stellte ich drei Gebote auf. Erstens: Wir müssen wieder Avantgarde sein. Zweitens: Wir halten uns aus dem ganz hohen Luxussegment heraus. Und drittens: Unsere Uhren müssen dem Käufer einen «erlebten Wert» bieten, der mindestens doppelt so hoch ist wie der Preis auf dem Etikett. Als mich alle kritisierten, dass ich das TAG-Heuer-Tourbillon doch viel teurer hätte verkaufen müssen, wusste ich, dass ich alles richtig gemacht habe. Überzogene Preise haben bei TAG Heuer nichts zu suchen. TAG Heuer ist erschwinglicher Luxus, und das bedeutet unter 20.000 Euro. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.

Als Sie unlängst bei Zenith waren, haben die Mitarbeiter sehr erschrocken auf Ihre Entourage aus Hublot- und TAG-Heuer-Spezialisten reagiert, so als fürchteten sie eine Einmischung in «ihre» Angelegenheiten …

Ich finde es völlig normal, dass man sich zu konkreten Problemen kompetente Unterstützung ins Haus holt. Ich will aus Zenith kein zweites Hublot machen, und auch kein TAG Heuer. Erst die Analyse der Geschichte und der aktuellen Situation mit allen Stärken und Schwächen führt zu einem Lösungsansatz. Das gilt natürlich auch für Zenith. Präzision ist eine wichtige Botschaft der Marke Zenith. Und die Pilot-Linie kommt sehr gut an, weil sie gut zur Tradition als Hersteller von Anzeige-Instrumenten passt.

Der moderne Look der Defy El Primero 21 weist indes klar in Richtung Hublot-Design. Ist das nur ein Versuchsballon oder steckt mehr dahinter?

Um es einmal klar auszusprechen: Wir müssen Zenith ein Stück weit von der Last der eigenen Tradition befreien. Eine Tradition hat ja nur einen Wert, wenn ich etwas damit machen kann. Und was macht man mit einer Tradition? Man entwickelt sie in Richtung Zukunft. Sonst gerät man in die Falle der endlosen Repetition, und das funktioniert am Markt nicht, glauben Sie mir. Ganz zu schweigen davon, dass Stillstand bzw. Repetition nicht die Botschaften einer Marke sein können, die den ersten Automatik-Chronographen konstruiert hat, voll auf Hochfrequenz setzte und als Werkelieferant sogar Rolex mit höchster Qualität überzeugte. Zenith war früher immer ganz auf der Höhe der Zeit.

Wo liegt demnach das Problem?

Zenith hat nach El Primero aufgehört, sich zu bewegen. Erst kam der Stillstand, dann die Repetition, und dann grüßte täglich das Murmeltier. Wir mussten El Primero dringend aus dem Gefängnis der Tradition befreien, daher der neue Ansatz für das 21. Jahrhundert, daher Defy 21 («Herausforderung», Anm. d. Red.). Das ist kein Versuchsballon, wie Sie sagen. Das ist das strategisch wichtige zweite Standbein, damit sich die Marke wieder bewegen kann: ein Bein die Tradition, das andere der Fortschritt. Zenith hat zwei Beine und kann wieder gehen!

Der Aufschrei war groß, als Sie den klassischen Hublot-Stil des Firmengründers Carlo Crocco revolutionierten. Heute können Sie es sich leisten, mit der schlichten, eleganten Classic Fusion in die Offensive zu gehen. Auch Ihre Entscheidung, das obere Preissegment der TAG-Heuer-Kollektion zu kappen, hat die Uhrenfreunde zunächst gegen Sie aufgebracht. Beide Maßnahmen beginnen sich jetzt auszuzahlen. Vielleicht brauchen wir bei Zenith nur ein wenig mehr Geduld?

Wissen Sie, im Grunde beruhigt es mich sogar, dass Sie das sagen. Dass Außenstehende meine Strategien nicht verstehen, macht mir nichts aus. So weiß ich, dass ich ihnen noch einen Schritt voraus bin. Auch meine Mitarbeiter müssen nicht all meine Schritte sofort verstehen, aber sie müssen bereit sein, sie mitzugehen. Sonst kann ich meine Strategien nicht umsetzen. Ich bin im Sternzeichen der Jungfrau geboren und nehme die Dinge sehr genau. Ich denke in Konzepten und ich denke voraus. Manchmal sogar ziemlich weit voraus.

Herr Biver, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Peter Braun während der BASELWORLD 2017

Zur Person

Jean-Claude Biver (*1949) erweckte 1982 die Uhrenmarke Blancpain zu neuem Leben und verkaufte sie zehn Jahre später zusammen mit der Uhrwerkefabrik Frédéric Piguet (heute Blancpain Manufacture) an die Swatch Group. Als er 2003 die darniederliegende Marke Hublot übernahm und mit einem neuen Konzept innerhalb kurzer Zeit den Umsatz verzehnfachte, rief er damit die LVMH-Gruppe (Moët Hennessy Louis Vuitton SE) auf den Plan, die Hublot kaufte und Biver nicht nur als CEO behielt, sondern ihn auch noch als Leiter der gesamten Uhrensparte des Konzerns (inkl. Zenith und TAG Heuer) verpflichtete.

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