Uhren & Autos: TAG HeuerDrehzahlmesser
Kaum eine andere Uhrenmarke genießt in Rennsportkreisen ein vergleichbares Renommee. In der Partnerschaft mit Porsche Motorsport entstehen technische Leckerbissen.
Seit Guy Sémon vor etwas über zehn Jahren als wissenschaftlicher Berater bei der LVMH-Gruppe anheuerte, blieb bei TAG Heuer kein Stein auf dem anderen. Nach der aufsehenerregenden Steigerung der mechanischen Schwingfrequenz auf bis zu 7.200.000 A/h (1000 Hz) widmete sich der Physiker in den letzten Jahren der Optimierung der Schwingsysteme. Er experimentierte mit elektromagnetischen Pendelunruhen ohne Spiralfedern und neuen Materialien, und dabei stieß er auf das erst 1996 entwickelte Graphen, ein Allotrop von Kohlenstoff mit nanofeiner Röhrenstruktur. Er machte überdies die Bekanntschaft eines hochtalentierten amerikanischen Physikers, der auf diesem Gebiet forschte, und stellte ihm in der Manufaktur TAG Heuer in La Chaux-de-Fonds ein Labor zur Verfügung.
Die Besonderheit des neuen synthetischen Werkstoffs besteht darin, dass man ihn nicht als Rohteil bearbeiten muss, um ihm eine Form zu geben, sondern dass man ihn von vornherein in der gewünschten Form «züchtet». Im Falle der Unruhspirale wird diese Form mit Eisenatomen auf einem Silizium-Wafer vorgezeichnet. Diese Skizzierung ist hundertmal genauer und trennschärfer als bei der fotolithografischen Belichtung. Im Reaktor, einem Quarzzylinder mit einer Innentemperatur von 950 °C, lagern sich Kohlenstoffmoleküle aus eingeleitetem Äthylengas an den Eisenatomen auf dem Wafer an und arrangieren sich selbstständig in ihrer typischen hexagonalen Struktur zu der nanogenau vorgezeichneten Form. Fünfzig Milliarden solcher Nanoröhrchen bilden eine Unruhspirale, deren Spiralrolle im Zentrum frei gestaltbar ist – zum Beispiel mit mikroskopisch feinen Logos. Die Höhe der aufgetragenen Schicht wird durch Plasmabeschuss (Ionenwolke) reguliert.
Das Material hat die plastischen Eigenschaften eines Polymers und die Festigkeit einer kristallinen Struktur, ist sechsmal leichter als Federstahl (1,7 g pro cm3), antimagnetisch und dabei viel elastischer als Silizium. Die Klassifizierung der Karbonspiralen, d. h. die Zuordnung zu verschieden schweren Unruhen, ist weniger aufwendig als bei Silizium. Außerdem besteht die Möglichkeit, einen klassischen Rücker zu verwenden.
Die ersten Exemplare der Karbonspiralen werden in blau eloxierten Aluminiumunruhen in den Tourbillons einer Sonderedition der Carrera Heuer 02T Tourbillon namens «Nanograph» verbaut – für 23.300 Euro, limitiert lediglich aufgrund der Komplexität des Herstellungsverfahrens. Noch! 330 Spiralen passen auf einen Wafer mit 15 Zentimetern Durchmesser. Mit den zwei Reaktoren in La Chaux-de-Fonds könnte Guy Sémon theoretisch 120.000 Spiralen pro Jahr herstellen. Der Entwicklungschef verfügt über eine Mannschaft von 30 Wissenschaftlern aus zwölf Nationen. Das lässt für die Zukunft noch einiges erwarten …