Probezeit: Seiko vs. Tissot

(K)eine Frage des Geldes

Eine Uhr mit moderner Manufakturtechnik, vielleicht sogar noch mit einer sogenannten kleinen Komplikation? Es wäre schön, wenn man sich die leisten könnte. Man kann! Das zeigen die Probanden dieser Probezeit, die beide genau 890 Euro kosten.
Seiko Presage vs. Tissot Ballade, Uhr
© Martin Häußermann

Geht doch! Mit diesen Worten beendeten wir die Probezeit der vergangenen Ausgabe – und meinten damit, dass es möglich sei, tadellos verarbeitete Marken-Fliegeruhren zu einem fairen Preis zu bauen. Eine der Uhren stammte von Oris, einer unabhängigen Uhrenfabrik, die in diesem Heft ausführlich portraitiert wird. Im Interview sagte Co-Geschäftsführer Rolf Studer: «Eine 2000-Franken-Uhr kann man in der Schweiz nicht mit einem eigenen Werk realisieren, es sei denn, man hat einen großen Konzern im Rücken.» Aber wenn man Teil eines großen Konzerns ist, geht es sogar etwas günstiger – in der Schweiz und auch in Japan. Das beweisen Tissot, ein Unternehmen der Swatch Group, sowie der japanische Seiko-Konzern.

Tissot tritt mit der Ballade COSC Silizium an, die vom Automatikwerk Powermatic 80 angetrieben wird. Dies ist eine Weiterentwicklung des bewährten Kalibers 2824-2 mit speziell entwickelter Hemmungspartie inklusive Silizium-Spirale und eines Federhauses, das 80 Stunden Gangautonomie ermöglicht. In dieser Form liefert ETA das Uhrwerk exklusiv an die Konzernschwester Tissot, weshalb man hier schon fast von Manufakturtechnik sprechen darf.

Das darf man bei Seiko immer, denn die Japaner machen wirklich alles selbst, wovon wir uns schon vor Ort überzeugt haben. Und in allen Uhren, ob Quarz oder Mechanik, werden immer eigene Uhrwerke eingebaut. In unserer Testuhr Presage Multifunktion arbeitet das Automatikwerk 6R27. Die Kaliberfamilie 6R rangiert bei Seiko in der oberen Mittelklasse, dieses Uhrwerk verfügt zusätzlich zur Zeitanzeige über ein Zeigerdatum und eine Gangreserveanzeige als «kleine Komplikation».

Seiko Presage Multifunktion, Uhr
© Martin Häußermann
Zum Ablesen des Zeigerdatums sind gute Augen vonnöten
Tissot Ballade COSC Silizium, Uhr
© Martin Häußermann
Das Hufnagelmuster der Lünette wiederholt sich im Zentrum des eleganten Zifferblatts.

Erster Eindruck

Martin Häußermann: Ich bin ja ein großer Fan des Vergleichs Tissot versus Seiko, aufmerksamen Lesern dieser Rubrik wird dies aufgefallen sein. Schon vor zwei Jahren stellten wir in dieser Rubrik zwei einfache Automatikuhren dieser beiden Hersteller zwischen 450 und 630 Euro einander gegenüber. Die Uhren in der aktuellen Probezeit kosten etwas mehr, nämlich genau 890 Euro – beide. Schon kurz nach dem Auspacken stelle ich fest: Sie sind jeden Euro wert. Die Tissot überzeugt mich mit ihrer schlichten, ja zeitlosen Eleganz. Die etwas verspieltere Seiko erweist sich als gelungene moderne Interpretation der «Laurel», der ersten Seiko-Armbanduhr überhaupt, die 1913 auf den Markt kam. Beide Uhren erfreuen mein Auge durch ihr vorbildliches Finish, und auch die Ausstattung mit Saphirglas, Sichtboden und Faltschließe überzeugt.

Peter Braun: Die sehr solide Gehäusekonstruktion der Seiko bietet ein paar Schmutzfangnuten, die gelegentlich sicher der Reinigung mit einer alten Zahnbürste und etwas lauwarmem Wasser bedürfen. Dafür zeigt der großzügig verglaste Gehäuseboden viel vom Uhrwerk, dessen Einzelteile heute nicht mehr gestanzt aussehen und an den Anglierungen sogar poliert sind – da haben die Japaner eindeutig dazugelernt. Das überaus geschmeidige Drehgefühl der – übrigens nicht verschraubbaren – Krone zeugt von geringen Einbautoleranzen und sehr gut finissierten Funktionsflächen im Innern des Seiko Kalibers 6R27. Das Zifferblatt trägt eine fein geprägte Fischgrät-Stuktur und ist sehr sauber in hochglänzender Farbe mit geschwungenen arabischen Ziffern bedruckt. Auch die Zeiger sind makellos verarbeitet, nur mit der Nachtablesbarkeit hapert es: Leuchtmasse? Fehlanzeige!

Der Luxus, den die Seiko mit ihrer aufwendigen Zifferblattgestaltung verströmt, findet seine Entsprechung in der fein gerändelten Lünette der Tissot Ballade. Die flache Krone wirkt daneben etwas altmodisch und ist auch nicht sehr griffig. Zum Glück muss man sie so gut wie nie betätigen, bei diesen guten Gangwerten! Das Zifferblatt wirkt modern und aufgeräumt, mit einem fein strukturierten Zentrum und aufgesetzten, polierten Indexbalken. Die stilistische Zurückhaltung hat ihren Preis: Auch die Tissot ist nachts nicht abzulesen.

Tragegefühl

Seiko Presage Multifunktion Bandschließe, Uhr
© Martin Häußermann
Band und Schließe der Seiko bieten guten Tragekomfort. Allerdings gehören die Bandhälften genau andersherum montiert.
Tissot Ballade COSC Silizium Bandschließe, Uhr
© Martin Häußermann
Die Doppelfaltschließe ist fein und auch komfortabel zu bedienen, das geprägte Rindlederband zeigte sich zu Anfang sehr steif.

PB: Die Seiko baut deutlich höher als die Tissot, liegt aber erstaunlicherweise besser am Arm. Das liegt in erster Linie sicher am weicheren Lederband, dessen freies Ende wegen der großen Länge (bzw. des geringen Umfangs meines Handgelenks) weit absteht und das ich wahrscheinlich eigenhändig kürzen würde, wenn ich die Uhr behalten dürfte. Wenn wir schon beim Band sind: Die einfache Faltschließe mit seitlichen Entriegelungsknöpfen trägt etwas dick auf, doch in dieser Preisklasse sind Faltschließen generell Mangelware, sodass ich mich nicht beklagen möchte: lieber eine etwas dickere Faltschließe als gar keine. Es ist wahrscheinlich nicht der aufgesetzte Wechsler der Aufzugsautomatik, der die Bauhöhe des Uhrwerks nach oben treibt, sondern es sind die zifferblattseitig im Verborgenen liegenden Module für das Zeigerdatum und die Gangreserveanzeige. Beide sind wichtige Gestaltungsmerkmale für das freundliche «Gesicht» der Presage, wobei mir nicht einleuchten will, warum der «Voll»-Bereich der Gangreserveanzeige in der Kometenschweifskala unten und nicht oben liegt.

Die Tissot Ballade glänzt mit geringer Bauhöhe. Mein größter Kritikpunkt an dieser Uhr ist das steife Lederband mit Krokoprägung, das sich auch nach einer Woche nicht um mein Handgelenk schmiegen will und die Uhr stets etwas nach außen in Richtung Ellenknöchel schiebt – obwohl sich die doppelte Faltschließe mit ihrer breiten Auflage am Puls redlich bemüht, die Uhr auf dem Handgelenkrücken zu zentrieren.

MH: Das Rindlederband der Tissot ist wirklich sehr steif. Ich weiß, wovon ich rede, schließlich trug ich die Uhr zuerst, also mit nagelneuem Band. Bis dieses eingetragen ist und die Uhr dann vor dem Kippen bewahrt, muss man wohl einige Wochen Geduld haben. Dass Seiko in diesem Preissegment mit einem sehr weichen und gefütterten Band mit Krokoprägung plus Faltschließe aufwartet, ist bemerkenswert. Bei mir sitzt die Uhr von Anfang an tadellos am Handgelenk.

Was mich als Mitglied der Generation Gleitsicht etwas stört, ist das nicht so einfach abzulesende Hilfszifferblatt des Zeigerdatums, das Nichteingeweihte auf den ersten Blick fälschlicherweise als Kleine Sekunde identifizierten. Auf die Leuchtmasse kann ich bei eleganten Anzuguhren wie diesen beiden gut verzichten, bei der Seiko würde sie mich sogar stören.

Technik, Ausstattung & Gang 

Seiko Presage Multifunktion Werksansicht,Uhr
© Martin Häußermann
Neue Seiko-Werke sind feiner finissiert als sie es in der Vergangenheit waren.
Tissot Ballade COSC Silizium Werkansicht, Uhr
© Martin Häußermann
Eine schwarz ausgelegte Gravur im Unruhkloben signalisiert, dass in der Tissot eine Siliziumspirale arbeitet.

PB: Die Tissot beeindruckt mich mit Gangwerten nahe null – zumindest an meinem Handgelenk. Eine große Überraschung ist das allerdings nicht, denn das Kaliber Powermatic 80 ist von der COSC schließlich als geprüfter Chronometer ausgewiesen, und die COSC-Chronometernorm erlaubt eine mittlere Gangabweichung von minus vier bis plus sechs Sekunden am Tag. Das von der ETA produzierte Automatikwerk kann seine Abstammung vom braven Kaliber 2824 nicht verleugnen, auch wenn die enorme Gangreserve von 80 Stunden nach Vollaufzug die Vermutung nahelegt, dass hinter den Kulissen einiges verändert wurde. Die Silizium-Spirale allein kann so viel nicht bewirken, zumal ihre Meriten eher in der Verbesserung von Ganggenauigkeit und -stabilität liegen. Die Architektur des Powermatic 80 wirkt im Vergleich zum Seiko 6R27 viel zierlicher – was die Werkabmessungen schließlich auch bestätigen –, doch in puncto Finish nehmen sich die beiden Werke nichts.

An meinem Handgelenk ging die Seiko Presage im Schnitt sieben Sekunden pro Tag nach, allerdings ziemlich gleichmäßig, sodass man diesen Fehlgang wohl durch eine simple Nachregulierung in den Griff bekommen sollte.

MH: Die Abstammung des Powermatic 80 ist unzweifelhaft, doch weil es technisch modifiziert wurde, erhielt es hausintern die Kalibernummer ETA C07.111. In dieser Version ist es auch bei den Schwestermarken Certina und Hamilton erhältlich. Es verfügt für diese enorme Gangreserve über ein deutlich größeres Federhaus als seine Basis, dessen Drehmoment auch ein verändertes Räderwerk erfordert. Ein bisschen Laufzeit bringt sicher auch die auf 3 Hertz (21.600 A/h) reduzierte Schwingfrequenz. Eine Besonderheit ist das rückerlose Reguliersystem mit zwei Feinstellschrauben auf den breiten Unruhschenkeln. Was das Tissot-Werk speziell macht, ist neben der Chronometerprüfung die Silizium-Spirale, die bisher nur deutlich teureren Uhren vorbehalten war. Deshalb hat Tissot – respektive ETA – auf dem Unruhkloben auch stolz «Si» eingraviert.

Das alles hinderte die Tissot allerdings nicht daran, an meinem Handgelenk pro Tag drei Sekunden zu verlieren. Was aber wohl an meinen Tragegewohnheiten liegt, denn unsere Zeitwaage Witschi Chronoscope S1 bestätigte das vom Kollegen ermittelte Ergebnis von plus/minus null. Und selbst die minus drei Sekunden sind noch innerhalb der Chronometernorm, alles gut also. Die Seiko ließ sich noch mehr Zeit und pendelte sich auf stabile -7 s/d ein. Weil die Uhr auf unserer Witschi mit Ausnahme des Nachgangs von durchschnittlich 5,1 s/d keine Auffälligkeiten zeigte, stimme ich dem Kollegen zu: Das regelt der Regleur locker weg! 

Wenn mich jemand nach einer besonderen Uhr mit erstklassigem Preis-Leistungs-Verhältnis fragt: Unsere beiden Probezeit-Kandidaten würde ich jederzeit empfehlen.



Text: Peter Braun, Martin Häußermann
Bilder: Martin Häußermann






Die interessantesten Uhren-Paare in unserer Reihe «Probezeit»:

Baume & Mercier Clifton Baumatic vs. Nomos Tangente Neomatik 41 Update

Habring2 Doppel-Felix Datum vs. Sinn 910 Jubiläum

A. Lange & Söhne Richard Lange Springende Sekunde vs. Jaeger-LeCoultre Geophysic Universal Time

Chronoswiss Flying Regulator vs. Erwin Sattler Régulateur Classica Secunda

Davosa Titanium Automatic vs. Stowa Seatime «Black Forest»

Carl F. Bucherer Patravi Scubatec vs. Ulysse Nardin Marine Diver

Bethge &. Söhne Nautica Diver vs. Marcello C. Nettuno 3

Damasko DC 58 Chronograph vs. Stowa 1938 Chronograph

Seiko Presage Multifunktion vs. Tissot Ballade C.O.S.C. Silizium

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