ENTWICKLUNG DES AUTOMATISCHEN AUFZUGS

II. Harwood und Rolex

1924 erhielt John Harwood das Schweizer Patent Nummer 106583 für eine Armbanduhr, welche durch eine pendelnde Schwungmasse automatisch aufgezogen wird. Grundlage der Entwicklung waren Harwoods Erfahrungen als Uhrmacher auf der Isle of Man.

von Michael Ph. Horlbeck und Peter Braun

mit Bildern von Arne Psille und aus dem Archiv ARMBANDUHREN


John Harwood
John Harwood wollte das Werk vor eindringendem Schmutz schützen

Harwood erhielt häufig Armbanduhren zur Revision, weil Schmutz oder Feuchtigkeit durch die nicht abgedichtete Bohrung der Aufzugswelle (Kronenwelle) eingedrungen waren und das Werk korrodierte – ein alltägliches Phänomen aus den Kindertagen der Armbanduhr. Die Gehäuse entsprachen technisch nämlich noch weitgehend dem Standard von Taschenuhren und waren noch nicht dafür ausgelegt, am Handgelenk allen möglichen Umwelteinflüssen ausgesetzt zu sein. Um diese Schwachstelle des Gehäuses zu schließen und somit die Uhren widerstandsfähiger zu machen suchte Harwood nach einer Lösung, auf Krone und Tubus völlig zu verzichten.

Seine Überlegung bestand darin, dass man, wenn der Zugfeder kontinuierlich durch die Bewegung des Armes Energie zugeführt würde, auf das mechanische Aufziehen verzichten könnte. Somit würde eine Funktion der Krone überflüssig. Er musste nur noch eine Möglichkeit zur Zeigerstellung finden, und schon konnte er die Krone komplett weglassen.

Harwoods Entwicklung bestand aus einer zentral auf der Werkrückseite gelagerten Schwungmasse, welche – einem Pendel gleich – zwischen zwei Endpunkten hin und her schwang, wobei die so erzeugte Energie in einer Schwingrichtung mittels eines Untersetzungsgetriebes an die Zugfeder weitergegeben wurde. Um Beschädigungen zu vermeiden wurde der Anschlag des Pendels an den Endpunkten durch zwei Federn abgebremst. Um nach Vollaufzug die durch den Rotor erzeugte überschüssige Energie von der Feder fernzuhalten entwickelte Harwood eine Rutschkupplung, welche den Kraftfluss zwischen Schwungmasse und Aufzugklinke unterbrach. Technisch war die Entwicklung ihrer Zeit weit voraus.

Mit John Harwoods «Selfwinding» fiel 1926 der Startschuss
Mit John Harwoods «Self-Winding» fiel 1926 der Startschuss zur Entwicklung der automatischen Armbanduhr

Die Automatik hatte so gute Aufzugeigenschaften, dass Harwood – seiner Idee folgend – auf den Handaufzug verzichten konnte. Der angestrebte Komplettverzicht auf die Krone wurde durch den drehbaren Glasreif möglich, über den die Zeit eingestellt werden konnte.

Die Harwood „Selfwinding“ sorgte bei ihrer Vorstellung im Jahr 1926 zunächst für Verwirrung. Eine Armbanduhr ohne Krone, also scheinbar ohne die Möglichkeit, sie aufzuziehen oder die Zeit zu stellen, wurde natürlich skeptisch betrachtet. Doch die Uhr bewies bald ihre Zuverlässigkeit: 1929 trug die Journalistin Lady Drummond Hay eine Harwood bei ihrer 29 Tage dauernden Weltumrundung an Bord der „Graf Zeppelin“.

Kaum hatte Harwood seine Selfwinding vorgestellt, begannen auch andere Firmen mit der Entwicklung automatischer Armbanduhren. Allein in der Schweiz wurden zwischen 1929 und 1933 insgesamt 53 Patente angemeldet. Daneben wurden verschiedene Automatikkonzepte entwickelt und auf den Markt gebracht. Diese Konzepte unterschieden sich deutlich. So nutzte man entweder das Gewicht des Werkes selbst, in dem man es im Gehäuse beweglich aufhängte (Wig-Wag), auf Rollen gleiten ließ (Rolls), einen Hebel nutzte (Autorist, Bulova) oder den Boden als Hebel nutzte (Wyler). Mitunter wurden auch verschiedene Konstruktionen mit einer außermittig gelagerten Schwungmasse vorgestellt, welche sich konstruktiv an alten Taschenuhren orientierten (Aster, Frey). Technisch waren sie jedoch allesamt der Harwood Selfwinding unterlegen.

Der visionäre Uhrmacher John Harwood verdankt seinen Erfolg nicht zuletzt der Firma Fortis, deren Inhaber Walter Vogt das Potenzial der Erfindung erkannte und sich auch finanziell entsprechend engagierte. Und in diesem Zusammenhang muss auch der Rohwerkehersteller A. Schild SA (kurz AS) erwähnt werden, welcher die seriennahen Entwürfe und den von Harwood gefertigten Prototypen zur Serienreife entwickelte. Das einseitig wirkende Untersetzungsgetriebe wurde bei AS auch nach dem Konkurs der Marke Harwood stetig weiterentwickelt und noch bis in die 1950er Jahre verwendet. So bildete es die technische Grundlage für das AS Kaliber 913, den ersten „Hammerautomaten“, der von Drittfirmen genutzt werden konnte.

Wie sehr beide Firmen von Harwoods Ideen überzeugt waren, lässt sich auch daran erkennen, dass selbst nach dem Ende der Harwood Selfwinding Company eine erneute Zusammenarbeit mit Harwood angestrebt wurde. Das Ergebnis war die „Autorist“ (zusammengezogen aus „automatic“ und „wrist“ – Handgelenk), deren Werk mittels eines als Hebel funktionierenden Bandsteges aufgezogen wurde. Allerdings hatte diese neue Entwicklung am Markt kaum Chancen, denn inzwischen war eine neue, bis heute gebräuchliche Lösung vorgestellt worden.

Rolex Perpetual Rotor, 1931
Der Durchbruch: Mit dem Rolex Perpetual Rotor war 1931 die moderne Armbanduhr geboren.

Rolex – die ewige Auster

Nachdem Rolex durch seine wasserdicht verschraubten „Oyster“-Gehäuse („Auster“) und sehr präzisen Werke berühmt geworden war, lag die Entwicklung eines automatischen Uhrwerks nahe. Dies war aus Sicht von Firmengründer Hans Wilsdorf sinnvoll, da sich dadurch die Abnutzung der Kronendichtung reduzieren ließ: Dank des Selbstaufzuges musste die Krone nicht mehr jeden Tag zum Aufziehen auf- und zugeschraubt werden. 1929 reichte Rolex ein Patent ein, welches die Effektivität der Automatik neu definierte. Unter der Schweizer Patennummer 160803 hatte Rolex angeblich unwissentlich den bereits 1770 von Perrelet entwickelten Rotor erneut erfunden und überraschenderweise auch die alte Bezeichnung „Perpetual“ wieder belebt.

Rolex revolutionierte die Automatik mit der Einführung des frei drehenden Aufzuggewichts, Rotor genannt, welches das Werk ursprünglich nur in einer Drehrichtung aufzog. Das Kaliber 620 NA wurde vom damaligen Chefkonstrukteur Borer entwickelt und führte neben dem Rotoraufzug eine Reihe weiterer Neuerungen ein, von denen sich einige zum bis heute gültigen Standard entwickelten.

Technisch basierte das Kaliber 620 NA auf dem Handaufzugkaliber 620, welches um die mit einer eigenen Platine versehene Automatikgruppe erweitert wurde. Diese umschloss das Kaliber 620 und deckte es komplett ab. Beim Basiskaliber wurde der bereits vorhandene Handaufzug beibehalten, jedoch komplett vom Kraftfluss der Automatik abgetrennt. Dies hatte zwei Vorteile: Zum einen wurde bei abgekoppeltem Handaufzug weniger Energie zum Spannen der Zugfeder benötigt, da weniger Bauteile bewegt werden mussten. Und zum anderen wurde vermieden, dass die Kronenwelle sich bei jeder Umdrehung des Rotors mitbewegte, was eine wasserdichte Verschraubung der Krone unmöglich gemacht. Selbst wenn uns dies heute selbstverständlich erscheint, wurden bis in die 1960er Jahre noch neue Automatikkaliber präsentiert, bei deren Entwicklung man dieses kleine Detail vergessen zu haben schien.

Auch wenn das Rolex-Basiskaliber 620 mit einem Durchmesser von nur 9 ¾ ’’’ (ca. 22 mm) vergleichsweise klein war, bot es überzeugende Gangleistungen. Der größte Vorteil der Automatik besteht nämlich in der gleichbleibenden Spannung der Zugfeder, die eine gleichmäßige Energieversorgung und somit ein gleichbleibendes Drehmoment im Kraftfluss garantiert – mit entsprechend stabilen Gangwerten.

Mit dem von Rolex eingeführten Rotor ließen sich bisher nicht gekannte Aufzugswerte realisieren, was sich positiv auf die Energieversorgung der Zugfeder auswirkte. Je nach Technik kann der Rotoraufzug bei normalen Tragegewohnheiten eine Effizienz von 80 bis 97 Prozent Vollaufzug erreichen. Somit war sichergestellt, dass die Zugfeder stets gut gespannt war.

Allerdings zeigte das Kaliber 620 NA auch die Probleme der neuen Rotor-Automatik auf. Um effektiv aufziehen zu können, müssen die Schwunggewichte eine bestimmte Masse aufweisen, damit sie den durch das Räderwerk und die Spannung der Zugfeder aufgebauten Aufzugwiderstand überwinden. Bei der so genannten Pendel- oder Hammerautomatik kann man die Achse beidseitig lagern, um diese zu entlasten. Der Rotor muss sich dagegen frei auf der Achse drehen und kann nur einseitig gelagert werden. Die mitunter extreme Belastung der Rotorachse führt zu ausgeschlagenen Lagern, oder schlimmer noch, Bruch der Achse.

Doch die nachhaltige Lösung dieser Probleme musste bis 1948 warten. Zunächst galt es, zu Perrelet aufzuschließen.


Teil 1 der Serie: Taschenuhren mit Selbstaufzug

Teil 3 der Serie: Große und kleine Rotoren

Teil 4 der Serie: Es lebe der Zentralrotor

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