Zum 190. Geburtstag von Julius Aßmann

Ein historisches Portrait

Mein Ur-Ur-Urgroßvater Julius Aßmann lebte in einer Epoche, die von der industriellen Revolution, von erheblichen gesellschaftspolitischen Umwälzungen und von persönlichen Einschnitten geprägt war. Der frühe Tod seiner ersten Frau sowie die damals hohe Kindersterblichkeit forderten in seinem Leben außerdem einen für heutige Verhältnisse unvorstellbaren Tribut: Von seinen acht Kindern überlebten nur zwei Söhne.
Assmann
Die Belegschaft der Uhrenfabrik Assmann um die Jahrhundertwende.

Sein Verdienst und seine Leistung für die Glashütter Uhrenindustrie, an welcher der im preußischen Stettin geborene Julius Aßmann aus meiner Sicht den herkömmlichen Darstellungen entgegen ganz maßgeblich beteiligt war, erscheinen umso bemerkenswerter.

Julius Aßmann

Eine mechanische Uhr bestand in der Mitte des 19. Jahrhunderts je nach Kompliziertheit aus bis zu 400 winzigen Einzelteilen, per Hand einzeln maßgefertigt und in einer bestimmten Abfolge immer wieder individuell angepasst und eingefügt. Die Fertigung einer einzigen Uhr konnte bis zu vier Wochen dauern. Ein Uhrmacher arbeitete zudem – und das ständig – nur mit einem Auge, vor dem er, ähnlich einem Monokel, mit viel körperlicher Übung und Geschick den ganzen Tag über eine Lupe festhalten musste. Effizientes Arbeiten war damals generell nur bei Tageslicht möglich. So verwundert es nicht, dass der Beruf des Uhrmachers eher zu den Künsten als zu den Handwerksberufen gezählt wurde.

Zu jener Zeit war eine Uhr für die allgemeine Bevölkerung finanziell unerschwinglich, die in Preußen besonders nach einer fatalen Missernte 1846 noch mit Hungersnöten zu kämpfen hatte.

Karrierestart in Berlin

Die Familie Aßmann lebte vor der Jahrhundertwende in bürgerlichem Wohlstand.

1848 arbeitet Julius Aßmann bei dem Hof-Chronometermacher und königlichen Astronom Christian Tiede in Berlin. Es wird ihm nicht nur dort eine besondere Begabung attestiert: Schon bald wird ihm die Aufgabe übertragen, ganze Uhren anzufertigen.

 

1848 ist jedoch auch das Jahr, in dem in den Straßen von Berlin nach einer erneuten Verteuerung der Lebensmittel Unruhen innerhalb der Bevölkerung ausbrechen. Die deutsche Revolution von 1849 wird schließlich von den preußischen Regierungstruppen König Wilhelm des VI. mit militärischer Gewalt in Berlin niedergeschlagen.

1850 ist für Julius Aßmann ein Jahr weiterer entscheidender Wendepunkte. Sein Vater verstirbt in Stettin und hinterlässt ihm die stattliche Summe von 6000 Talern. Von seinem Mentor Christian Tiede erfährt er, dass dessen ehemaliger Weggefährte Ferdinand Adolf Lange im verarmten Glashütte in Sachsen bisher vergeblich Partner für den Aufbau einer industriellen Uhrenproduktion sucht.

Julius Aßmann folgt seinen eigenen Zielen und den Zeichen der Zeit. Im Alter von 23 Jahren geht er nach Glashütte und arbeitet für Ferdinand Adolf Lange zunächst als Regleur.

Eine «echt Glashütter Assmann-Uhr» im Etui, hier ein Marine-Modell.

Die Anfänge in Glashütte

Für die Gründung einer eigenen Firma benötigt Julius Aßmann die sächsische Staatsbürgerschaft, die er beim Innenminister des Königreichs Sachsen, wie er schreibt, «huldvoll» erbeten hat. Wohl angesichts seines Investitionsvorhabens von 6000 Talern erhält er einen sächsischen Pass, kauft in Glashütte ein Haus und nimmt für die Anschaffung von Geräten und die Auszahlung von Löhnen eine Hypothek darauf auf. Exakt an seinem 25. Geburtstag, am 2. Oktober 1852, gründet er seine Firma, die J. Assmann Deutsche Anker-Uhren-Fabrik Glashütte i. Sa. Die unterschiedliche Schreibweise des Namens mag auf den ersten Blick irritieren. Julius Aßmann hat als Geschäftsinhaber alle Dokumente ausnahmslos mit seinem bürgerlichen Familiennamen und daher mit «ß» unterzeichnet. Seiner Firma aber gab er im Hinblick auf Exportbestrebungen im Namenszug das doppelte «s».

Im Gegensatz zum anderen Ende der Welt finden Aßmanns Uhren im deutschsprachigen Raum keinen relevanten Absatz. Er exportiert, ohne die Kosten zu decken, nach Südamerika. Einheimische Kunden sucht er bei einem Messeauftritt auf der Ersten Deutschen Industriemesse in München 1854, doch nur drei Tage nach Ausstellungsbeginn bricht die in Europa wütende Cholera-Epidemie auch in München aus, was zu einer panikartigen Massenflucht aus den Messehallen und der gesamten Stadt führt.

Wenig später stirbt in Tirol bei einem Unfall mit der Postkutsche Sachsens König, was zu einer allgemeinen Aufbruchsstimmung und zu einer politischen Eskalation der Lage in Sachsen führt.

Eine Welle von Verhaftungen, Entlassungen und Vertreibungen sowie die Emigration vieler Künstler und Wissenschaftler sind die Folge, die weitere wirtschaftliche Spuren hinterlässt.

Blick in das modern eingerichteteKontor der Firma Assmann im frühen 20. Jahrhundert.

Ein zweiter Anlauf

Aßmanns Geldmittel für den Aufbau des Industrialisierungsprojekts sind nach zwei Geschäftsjahren aufgebraucht. Inzwischen hat er geheiratet, und Sohn Paul wird 1854 geboren. Er leiht von seiner Mutter in Stettin weitere 6000 Taler.

Zahlreiche Anerkennungen auf anderen deutschen Messen zeugen von seinen technischen Entwicklungen, aber der Durchbruch bleibt aus. 1858 benötigt die Firma erneut Kapital, und Julius Aßmann bittet nun erstmals das Innenministerium von Sachsen um einen Kredit. Das Innenministerium lehnt seinen Kreditantrag zunächst ab – wahrscheinlich auch aus Vorbehalten gegenüber dem ehemaligen Preußen. Der bestens informierte Hof in Preußen wiederum wittert die Gunst der Stunde, den Vorsprung Sachsens in der Uhrenproduktion aufzuholen, und bietet Aßmann an, ein ähnliches Projekt wie Glashütte in Preußen aufzubauen.

Darauf wendet sich Julius Aßmann noch einmal an den Geheimen Regierungsrat Weinlig, und auch Adolf Lange setzt sich vehement dafür ein, Aßmann unbedingt in Sachsen zu halten. Schließlich wird durch die Fürsprache Weinligs gegen eine weitere Hypothek auf das Haus der erste Kredit an den ehemaligen Preußen gewährt.

1862 erhält Julius Aßmann auf der internationalen Londoner Messe für sein Fortschrittswerk erstmals eine Medaille. Im gleichen Jahr stirbt seine Ehefrau im Alter von nur 35 Jahren. Julius Aßmann heiratet in zweiter Ehe Marie Antonie Lange, die älteste Tochter seines Fürsprechers Adolf Lange.

Ungefähr fünfzehn Jahre nach der Gründung der Firma ist die Glashütter Uhrenmarke Assmann etabliert, und die Zahlen der Uhrenverkäufe steigen erstmals auch in Deutschland an. Doch nach dem Krieg Sachsens 1866 an der Seite von Österreich gegen die Preußen wendet sich das Blatt 1870 erneut: Napoleon III. erklärt 1870 den deutschen Staaten den Krieg.

Er wird schließlich besiegt, was zur Gründung eines einheitlichen deutschen Kaiserreiches und zur Aufhebung wirtschaftlicher Barrieren führt. Intern steht die Firma von Julius Aßmann vor der Entscheidung, Uhren entweder schneller und billiger oder teurer und mit hoher Qualität zu produzieren. Nationalisten fordern, dass die Firma Assmann nur noch in Deutschland ihre Uhren verkaufen soll.

Unvergessenes Lebenswerk

Aus Anlass des 25-jährigen Geschäftsjubiläums ernennt Julius Aßmann an seinem 50. Geburtstag am 2. Oktober 1877 seinen 23-jährigen Sohn Paul offiziell zum Teilhaber der Firma Julius Assmann. 1878 wird Julius Aßmann als einer der Gründungsmitglieder der Ersten Deutschen Uhrmacherschule in Glashütte deren Aufsichtsratsmitglied.

Auf dem Zenit seines Lebens stirbt Julius Aßmann nach 34 Geschäftsjahren im Alter von 59 Jahren am 15. August 1886. Die Uhren der Firma Julius Assmann erzählen dieses Stück Zeitgeschichte und haben ihren Wert über die Zeiten hinweg bis heute überdauert.


Text: Annett Aßmann
Bilder: Stiftung Deutsches Uhrenmuseum Glashütte

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