Die Uhr des Jahres 2023Quantensprung
Die Leser von ARMBANDUHREN und die User von www.armbanduhren-online.de haben gewählt, das ist Ihre Uhr des Jahres 2023!
Ein Behälter, der wie eine Dose aussieht, birgt eine der wichtigsten Komponenten des mechanischen Uhrwerks: die Zugfeder. Dabei ist sie nicht mehr als ein flaches, elastisches Metallband, das aufgerollt ist. Wird die Uhr aufgezogen, spannt sich diese Feder und treibt in ihrem Bestreben, sich wieder zu entspannen, das Räderwerk an. Dieser Vorgang gilt als Merkmal eines mechanischen Uhrwerks und unterscheidet es von einem batteriegespeisten Quarzwerk.
In Feder und Federhaus kumulieren mehrere Jahrhunderte der Entwicklung. Die ersten Zugfedern gab es bereits im 15. Jahrhundert. Sie waren zunächst von Hand geschmiedet, später aus Draht gewalzt und wurden spiralförmig aufgerollt. Gegen ihre Eigenspannung verformt, trieben sie durch die Rückkehr zu ihrer ursprünglichen Form das Uhrwerk an. Dieses Prinzip ist bis heute gleich geblieben, wenn sich auch viele Details entscheidend verändert haben.
Das beginnt bei den zeitgenössischen Materialien des elastischen, flachen Bandes: Moderne Zugfedern sind aus Legierungen wie ChromNickelstahl (Inox) oder Nivaflex (Kobalt, Nickel und Chrom) gefertigt, die bruchfest sind und eine gleichmäßige Kraftentfaltung ermöglichen. Zu Letzterem trägt auch die heute gebräuchliche Ausprägung der Zugfedern bei, die in ausgebautem Zustand eine S-Form einnehmen. Das bedeutet, dass sich eine Zugfeder nach einigen Windungen in ihrer Richtung umkehrt und sich am anderen Ende im entgegengesetzten Drehsinn aufrollt.
Eingehängt wird die Zugfeder durch einen Haken an der Federwelle beziehungsweise am Federkern – dies ist die zentrale Achse des Federhauses. Von hier aus wird die Feder aufgezogen. Sie windet sich um den Federkern, während ihre Kraftabgabe am anderen Ende erfolgt. Dabei legt sie sich an die Wandung des Federhauses, versetzt es in Bewegung und treibt damit letztlich das Werk an.
Und wie lange währt die Energie der Zugfeder? Wie lange dauert es vom Vollaufzug der Zugfeder bis zu ihrer Entspannung? Dieser Zeitraum, der als Gangdauer, Gangautonomie oder Gangreserve bezeichnet wird, währt bei historischen Taschenuhren etwa 24 Stunden, bei Großuhren sind es meist sieben Tage und bei normalen Armbanduhren etwa 40 Stunden.
Diese Spanne weiter auszureizen, ist ein Ziel, das Uhrmacher schon seit Langem verfolgen. Eine Lösung ist ein zusätzliches Rad im Räderwerk: Das Beisatzrad zwischen Minuten- und Kleinbodenrad verändert die Übersetzung so, dass weniger Energie erforderlich ist.
Eine andere Möglichkeit setzte bereits Abraham-Louis Breguet (1747‒1823) um. Er verbaute einfach zwei Zugfedern in einer Uhr: Das «Instrument Nr. 3118» besitzt zwei Federhäuser, die separat aufgezogen werden. Hingegen befinden sich in Breguets Chronometer Nr. 428 zwei Zugfedern, die gemeinsam aufgezogen werden. Hier sind beide Federhäuser nebeneinandergeschaltet.
Aus historischen Konstruktionen haben die Uhrmacher von heute gelernt und verlängern durch raffinierte Konstruktionen die Gangautonomie von Armbanduhrwerken immer weiter. Modelle mit einer Gangreserve von mindestens 60 Stunden gehören bei den meisten Manufakturen fast selbstverständlich zur Kollektion.
Das 2016 vorgestellte Kaliber 36 von Glashütte Original für die Senator Excellence erhöht diesen Wert auf eine Kraftreserve von bis zu 100 Stunden mit nur einem einzigen, neu konstruierten Federhaus. Dessen Durchmesser wurde vergrößert und der Federkern verkleinert, sodass eine auf 680 Millimeter verlängerte Zugfeder Platz fand. Sie ist aus dem für Glashütte Original neuen Material Elinflex von Nivarox gefertigt.
Oft werden für das Mehr an Kraft zwei oder gar mehrere Federhäuser eingesetzt. Chopard war eine der ersten Marken, die in der L.U.C Quattro gleich vier Federhäuser in einer Uhr zum Einsatz brachte. Insgesamt speichern in diesem Kaliber Zugfedern von 1,80 Metern Länge die Energie, die für neuneinhalb Tage reicht. In der Uhr Les Cabinotiers Celestia Astronomica Grande Complication 3600 von Vacheron Constantin arbeiten sogar sechs Federhäuser. Sie sorgen für eine Gangautonomie von 21 Tagen und steuern zahlreiche Komplikationen, darunter ein ewiger Kalender, eine Anzeige von Sonnenauf- und -untergang sowie eine Anzeige des Mondalters.
Einen ganzen Monat Gangreserve garantiert die Lange 31 von A. Lange & Söhne. Diese Uhr hat Energie für einen kompletten Monat: Erst nach 31 Tagen muss das Uhrwerk wieder aufgezogen werden, was nicht wie gewohnt über die Krone stattfindet. Stattdessen wird wird das Modell nach Ablauf eines Monats mit einem Schlüssel wieder aufgezogen. Damit spannt man zwei Zugfedern von jeweils 1,85 Metern Länge, die in übereinander gelagerten Federhäusern drei Viertel der Werkfläche bedecken.
Für einen konstanten Antrieb über die gesamte Laufzeit sorgt ein extra konstruiertes Nachspannwerk. Dieses ist zwischen Doppelfederhaus und Hemmung platziert und bewirkt, dass eine vorgespannte Antriebsspirale auf der Sekundenradwelle beim Entspannen eine immer gleiche Energiemenge an das Ankerrad weitergibt.
Alle zehn Sekunden wird die an einem Spiralklötzchen befestigte Spiralfeder an ihrem äußeren Ende wieder um 60 Grad nachgespannt, gesteuert von der Unruh.
Der Bewegungsablauf des Nachspannwerks, der äußerlich dem einer Hemmung gleicht, kann auf der Rückseite des Uhrwerks betrachtet werden. Ein Anblick, der sich in dem Modell Lange 31 dank des Saphirglasbodens bietet.
Das oben geschilderte Vergnügen ist für den normalen Uhrenkäufer fast unerschwinglich. Doch auch im preislichen Normalbereich finden sich inzwischen ein paar Langläufer. Zum Beispiel verbaut Tissot das ETA Kaliber C07.111 Powermatic 80, das auf der Basis des bewährten ETA Kalibers 2824-2 in einer Zusammenarbeit von Asulab, ETA und Nivarox entstanden ist. Um diese Gangreserve zu erreichen, wurden die Unruhfrequenz auf 21.600 Halbschwingungen pro Stunde, also 3 Hertz, reduziert, das Federhaus erneuert und die ganze Hemmung umkonstruiert.
Im Blick hat man die Energiereserve dank entsprechender Anzeigen – die Gangreserveanzeige gilt in der Uhren-Nomenklatur als eigenständige Komplikation. Zumeist erfolgt sie retrograd, folglich durch einen Zeiger, der sich vor und dann wieder zurück bewegt. Möglich wird dies in der Regel durch ein kleines Differenzialgetriebe, welches das Federhaus mit der entsprechenden Anzeige verbindet. Von dieser kann der Uhrenträger dann ablesen, wie es um den Energiehaushalt seiner Uhr bestellt ist. In der Regel wirkt sich ein pralles Energiepolster nämlich vorteilhaft auf den genauen Gang einer Uhr aus.
Text: Iris Wimmer-Olbort